Deutschland sucht den grauen Star
„Schwäbischer Minnesang“ in Schwarzenbach/Saale: Von Klaus Ratzek als musikalischem Sidekick begleitet, macht Kabarett-Preisträgerin Birgit Süß die Rampensau und weiß guten Rat für die Liebeslust jenseits der Lebensmitte.
Von Michael Thumser
Schwarzenbach/Saale, 25. Juli – Sie kann einem vorkommen wie eine nette Tante, die lachend und albernd einen Kindergeburtstag bespaßt. Das Publikum, das ihr am Sonntag in Schwarzenbach zum Greifen nah saß, war allerdings sehr (sehr!) erwachsen. So voller Lebenslust und -laune steckt Birgit Süß, dass man meinen könnte, kein Tropfen Wermut mindere den reinen Wein ihres Optimismus und sie selbst könne kein Wässerchen trüben. Dennoch fabuliert die gebürtige Augsburgerin aus Würzburg in ihrem aktuellen Programm – und in einem weich-verwaschenen schwäbisch-unterfränkischen Mischidiom – nicht das Blaue, sondern „Das Graue vom Himmel“ herunter.
Zum Lachen ist das nicht immer, was nicht so sehr daran liegt, dass es zurzeit „an allen Ecken brennt“; denn Tante Birgit hat ja recht: „Da braucht man was Wurschtiges.“ Vielmehr muss man ihr, zumindest im ersten Teil ihres Gastspiels auf der Kleinkunstbühne Hinterhalt, zustimmen, wenn sie sagt: „Meine Witze sind eh schon mau.“ Erst nach der Pause steigt die Quote zündender Treffer an, dann beträchtlich. Den Besucherinnen und Besuchern in der vollbesetzten Hofscheune gefällt es trotzdem vom Anfang bis zum Ende: ein „Swingerclub der guten Unterhaltung“. Zu der trägt nicht zuletzt der musikalische Gefolgsmann der Komikerin bei: Die Lippen an der Tuba, die Finger am Kontrabass, erweist sich Klaus Ratzek hingebungsvoll als Jazzer von erfinderischer Klangfantasie.
Wenn er gerade nicht spielt, entspannt sich der Sidekick müßig am Rand des Geschehens. Birgit Süß hingegen, die während eines „Schwäbischen Minnesangs“ zu Ratzeks urwüchsigem Tuten und Blasen auch schon mal die Rampensau macht, bleibt zwei Stunden lang ausdauernd aufgeregt, sprunghaft und gelenkig. So albert sie sich durch All- und Urlaubstags-Beschäftigungen wie ein Achtsamkeitstraining mit Rosinen, eine Weinprobe in einer „Bobbabb“-(Popup-)Weinstube mit dem vollmundigen Namen „Sensoricum“ oder den einmaligen Versuch, Golf zu spielen. Nicht übel Lust hätte sie, unweit des green ihr klappriges Lastenfahrrad provokant zwischen drei parkenden Porsches abzustellen.
„Ein Montagsmodell“
Lieber geht sie kleinbürgerlichen Beschäftigungen nach wie dem „Katzenfutter-Bullshit-Poker“ bei der heiklen Ernährung ihrer arg wählerischen Haustiere oder gelegentlicher Leibesertüchtigung in der Muckibude, wo sie „nur der Stützstrumpf aufrecht hält“. Als kehrte sie von dort wie von einer televisionären „Expedition ins Tierreich“ zurück, beschreibt sie in gekonnter Heinz-Sielmann-Rhetorik das Balzverhalten testosteronssüchtiger Fitness-Aficionadas als das einer kurios jungstraffgepiercten Tierart. Mutig, wie Süß ist, steht sie nicht an, sich selbst als „schlecht verschraubtes Montagsmodell“ mit „überschrittenem Verfallsdatum“ dagegenzuhalten.
Aber um überständige Ausschussware handelt es sich bei der drahtig-schlanken, agil gestikulierenden Humoristin noch lange nicht. „Deutschland sucht den grauen Star“, tiriliert zwar ihre noch ziemlich frische Stimme in sehr (sehr!) hohen Tönen; und überhaupt handeln die raffinierten Reime ihres „Liedguts“ vielfach vom Altern, dem eigenen zumal. Aber sie nimmt es auf die Schippe und die leichte Schulter. Mit ihren 58 Jahren spricht sie gern Themen an, „die im Kabarett bisher wenig präsent sind“ – Slipeinlagen für Männer zum Beispiel – und brilliert schließlich mit ihrem aufgeklärten Korreferat zu einer offiziellen Broschüre über die Liebeslust jenseits der Lebensmitte. Wobei sie ihr sehr erwachsenes Publikum warnt: Wer als betagter Ruheständler „das Kamasutra durchturnt“, wird schnell „im Pflegegrad downgegradet“.
Dergleichen erzählt die lustige Tante Birgit beim Kindergeburtstag besser nicht.
Nächste Veranstaltung der Kleinkunstbühne Hinterhalt (Schwarzenbach/Saale, Bahnhofstraße 16): 30. Juli, 18 Uhr, Martin Kälberer mit „Insightout“.
Mit der Handkreissäge im OP
„Ich bin mit wenig zufrieden“, sagt Günter Grünwald, und man weiß nicht recht: Heißt das, er nimmt die Welt gelassen, wie sie ist? Oder passt ihm die ganze Linie nicht? In Hof bespaßte der oberbayerische Komiker ein 500-köpfiges Publikum mit einer Fantasie, fast so eskalierend wie die Wirklichkeit.
Von Michael Thumser
Hof, 23. Mai – Er hält die Welt für „grauenhaft“, auch wenn er einräumt: „So richtig super war sie nie.“ Die Zeitläufte beobachtend, wird Günter Grünwald den Eindruck nicht los: „Richtig durchdacht ist das alles nicht.“ Als er mit Onkel Hans „zum Afghanen-Erschrecken“ urlaubshalber ins Land der Taliban reiste und dort in die Hand zuvorkommender Entführer geriet, bestätigte ihm einer von ihnen, der Tod als Märtyrer werde mit 72 Jungfrauen im Paradies belohnt. Was aber, wenn den Selbstmordattentäter dort eine Schar „95-jähriger Zisterzienserinnen“ erwartet. Oder die Betonfrisuren alter Damen in schimmerndem Lila: Wie „Fahrradhelme“ sehen die aus, nämlich „beschissen“. („Ich muss aufpassen, dass ich nicht ordinär werde.“ Und er wirds.) Oder der vergebliche Versuch, als Streiter gegen Putin den „Kampfbomber-Führerschein“ zu machen: Wie soll das gehen in einem Land, in dem nicht mal eine Genehmigung für „Lenkwaffen am Mofa“ zu bekommen ist?
„Ich bin mit wenig zufrieden“, versprach Grünwald mit dem Charme argloser Einfalt am Freitag in Hof, und es dauerte eine Weile, bevor sich der verschlagene Doppelsinn der Behauptung offenbarte: Soll das heißen, dass er wirklich nicht mehr braucht, als er hat? Oder ists doch so zu verstehen, dass ihm so gut wie nichts passt und genügt? Unverfroren freigebig zwar verteilt er die Früchte seiner pointengesättigt virtuosen Rhetorik unter den fünfhundert Zuhörenden im Festsaal der Freiheitshalle. Aber für einen Menschenfreund sollte man ihn, zumindest solang er treuherzig lächelnd auf der Bühne agiert, trotzdem nicht halten. Dem Publikum freilich ist das verdächtig Wetterwendische eine Freude: Fortwährend lacht es und jubelt wiederholt, sodass der landauf und landab, auch im bayerischen sowohl wie und im überregionalen Fernsehen erfolgreiche Volksredner aus Ingolstadt sich getrost lindes Lob zusprechen darf: „Mensch Grünwald, wieda amoi alles richtig gmacht.“
Schwindlig quatschen
Hat er. Viel, meint er bescheiden, könne er nicht, aber dies Eine gewiss: „Menschen schwindlig quatschen.“ Gern nimmt man ihm das ab während der zwei Plauderstunden seines aktuellen Programms „Definitiv vielleicht“. Mit der Breitgoschigkeit seiner oberbayerischen Mundart und mit groteskem Mienenspiel gaukelt er den Leuten vor, zu sein, was er nicht ist: bekloppt. Vor den leidigen Selbstverständlichkeiten des Alltags mitsamt seinen kuriosen Auswüchsen stellt er sich herrlich blöd und gibt trotzdem an- und ausdauernd Auskunft darüber wie der Blinde von der Farbe.
„Definitiv vielleicht“? Definitiv glänzt Grünwald als zugkräftiger Komiker, „vielleicht“ sogar als Kabarettist, sofern man von Satire nicht unbedingt und in jedem Fall eine tagesaktuell krachende Kritik an der Welt und ihren Zeitläuften verlangt. Nicht zwar als Kasper tritt der 66-jährige Schalk auf, aber als Spaßvogel, als einer der grantelnden Art: als Kampfhahn. Kumpelhaft hängt er seinen Nebenmenschen einen Redeschwall um den anderen ans Ohr, der zwar Punkt und Komma, aber keine Pausen hat. Und kein Thema. Oder ganz viele Themen, die unversehens eins ins andere übergehen, um sich gemeinsam in Nichts aufzulösen. Oder in die Eskalation münden.
Ausweitung der Kampfzone
Denn sie, die Ausweitung der Kampfzone und Verschärfung der Streitlust bis an die Schmerz- und „Scherzgrenze“, die zelebriert der hartgesottene Humorist mit der makabren Lust eines Terminators. Den besagten Onkel Hans spielt er vor – im Dauerzustand einer Volltrunkenheit, die nur wenige Nüchterne so waschecht zustande bringen wie er –, um die Operation an Omas Gallenblase zu schildern: Ein schnieker Chirurg nahm sie „mit der Handkreissäge“ vor und fand unvermutet derart manisches Gefallen am Zerstückelungswerk im offenen Bauch, dass er „die Mutti vollständig entkernte“. In der zweiten Hälfte des Abends – auch wenn in ihr der Witz abflacht und -flaut – steigert sich Grünwald beispielhaft in die monströse Demonstration eines Streits hinein, der zwei beste Freunde für immer entzweit; Kriegsgrund: die unscheinbare Frage, ob Kümmel ins Essen gehört oder nicht.
Als verlöre er Mal um Mal die Kontrolle über seine Einbildungskraft, fabuliert sich Grünwald in seinen Geschichten von einer gräulichen Episode in die nächste abstruse Verstiegenheit. Auch seine scheinbar dahergeplapperte, in Wahrheit „richtig durchdachte“ Eloquenz arbeitet gleichsam „mit der Handkreissäge“, mit dem schweren Gerät einer Eulenspiegelei, die sich wenig um Feinheiten schert, schon gar nicht bei der Wortwahl. Warum auch? Geben sich doch allzu viele Zeitgenossen im Vaterland mit immer schäbigeren Resten der Muttersprache zufrieden, etwa in der Art, wie die Werbung es ihnen mit dem schwindelerregenden Quatsch immer „depperterer“ Parolen vorschwätzt. Grandios grauenvolle Beispiele bietet der Kabarettist auf: „Mehr gut geht nicht“, „So muss Technik“, „Wer günstig will, muss Penny“ … Man braucht mit Grünwald, dem Grantler, nicht in allem einverstanden zu sein, um ihm hierbei recht zu geben: Solch hirnlose Verhunzung geht schmerzhaft über die Scherzgrenze hinaus.
Hunderttausend Jahre alt
Das Jahr hat „13 Monate“, jedenfalls für Erich Kästner; und ebenso für Julia Boegershausen und Björn Bewerich, die den Gedichtzyklus als Liederkreis vortragen. Beim poetischen Gastspiel im Theater Hof fügt das Duo aus Görlitz noch melancholische „Ungereimtheiten“ aus der „Einsiedelei des Herzens“ an.
Von Michael Thumser
Hof, 25. März – Den Abend beschließt das Gedicht, mit dem Erich Kästners Aufstieg in die deutsche Spitzensatire begann – und allerdings auch seine Frühphase als Journalist in Leipzig endete. Zum Fasching 1927, unter anderem in der Plauener Volkszeitung, hatten er und sein Freund, der Cartoonist und Zeichner Erich Ohser alias e. o. plauen, sich durch das allzu unverklemmte „Abendlied des Kammervirtuosen“ unerwünscht gemacht. Darin stimmt der im Titel bezeichnete Meister der Ton- und Liebeskunst seine Favoritin auf den Rausch der bevorstehenden Nacht ein: „Du meine neunte letzte Sinfonie! / Wenn du das Hemd anhast mit rosa Streifen ... / Komm wie ein Cello zwischen meine Knie / Und lass mich zart in deine Seiten greifen.“ Eine lyrisch-artistische Schlüpfrigkeit gegen die Klassiker-Schwärmerei des Bildungsbürgers; und Grund genug, wegen Anstößig- und Sittenlosigkeit auf die Straße gesetzt zu werden. Für den 28-jährigen Verfasser (und für Ohser) wars ein schwerer Schlag. Aber er taugte als Entree in die erfolgreichen Berliner Jahre, die aufregend folgen sollten.
Über Lust und Lustigkeit lässt sich so wenig streiten wie über Geschmack. „Er reißt keine Witze. Er hat Humor; also jene Gemütskrankheit, die eine große Traurigkeit mit Ironie und Güte zu kurieren sucht.“ Was Kästner da über Joachim Ringelnatz, den Freund, in die Zeitung setzte, gilt für ihn erst recht. In eben dieser Art nahmen ihn Julia Boegershausen und Björn Bewerich während ihres Hofer Gastspiels beim Wort: nicht als lärmenden Witzereißer, sondern als witzigen Humoristen. Im Studio des Theaters ging das Görlitzer Duo bei seinem Gastspiel Kästners eigenwilligen Kalender „Die 13 Monate“ durch und komplettierte den so poetischen wie unkonventionellen Gedichte-Reigen durch etliche „Ungereimtheiten“ aus dem Leben und Schreiben des großen, oft noch immer unterschätzten Autors.
Der Mozart des Kalenders
Dreizehn Monate? Als Kästners „romantischstes Werk“ apostrophiert die Künstlerin die wunderbaren Reimereien, die zur Frage herausfordern, welcher Monat, nach dem Dezember, wohl noch folgen könnte; ist doch das Jahr „hunderttausend Jahre alt“, und noch nach jedem wars der Januar. Ordnungsgemäß mit ihm beginnen denn auch Boegershausen und der stoisch zurückhaltende Bewerich als ihr Begleiter am E-Piano, um in kürzeren und weiteren Schritten dahinzuwandern. Den März passieren sie mit seinem Abschied vom Winter und dem Aufbruch in den Frühling, wo man die Schneeglöckchen „läuten“ hört, „wenn du die Augen schließt“. Im wetterwendischen April genießen sie den „Widerspruch voll Harmonie“. Den Mai – den „Mozart des Kalenders“ – sehen sie in einer Kutsche durch „atmende Pastelle“ rollen … Die Zuhörenden im Studio, amüsiert, mitdenkend und nachdenklich, „sehen“ die Hitze und „hören“ die Stille“ des Augusts und sind dabei, wenn im Oktober Blätter „sterbensheiter ihre letzten Menuetts“ tanzen. Der Dezember schließlich – „Nichts bleibt, und nichts vergeht“ – deckt mildtätig das Geschehene wie das Versäumte zu, mit seinem Schnee und mit Klavierklängen nach Art einer gestrengen Choralbearbeitung.
Denn in veritablen Kompositionen breitet sich das Jahreszeitenpanorama aus. 1979 schuf es Manfred Schmitz als Folge zeitgemäß unterhaltsamer, gleichwohl ernsthafter Liedvertonungen, die einfallsreich auf die Inhalte und Inspirationen der schon von sich aus hochmusikalischen Vorlagen reagieren. 1983 hat Gisela May, die ostdeutsche grande dame des Chansons, den Zyklus auf Schallplatte eingesungen. Freilich findet Julia Boegershausen ihren eigenen Ton. Eine attraktiv lebendige Stimm- und Sprechkünstlerin mit noch jugendlicher Stimme: Scharfsinnig frech, gelegentlich stubenrein frivol geht die feurig rotgelockte Interpretin Worte und Weisen an und lässt es dabei nie an dem von Erich Kästner genährten Charme einer optimistischen Skepsis fehlen.
Zwei Schwestern
Auch wenn sie die Musik unterbricht, um gemeinsam mit dem weidlich applaudierenden Publikum kurze Blicke auf den Dichter und seine Lebenswege zu werfen, unterschlägt sie seine reife Einsicht nicht, dass „Melancholie und Freude wohl Schwestern“ sind. Unter den Nazis hat Kästner den „Mord und Selbstmord“ des „geistigen Deutschlands“ aus nächster Nähe erlebt, hat mit eigenen Augen 1933 auf dem Berliner Opernplatz die Verbrennung seiner Bücher beobachtet, hat die „Auslöschung Dresdens“, der geliebten Geburtsstadt, im Bombenhagel der britischen und US-amerikanischen Luftwaffen beklagen müssen. Aus einem „Brief an mich selbst“ zitiert Boegershausen, in dem der Dichter sich als Einsamer und Fremdgebliebener selbst entlarvt: Trotz Frauen, Freunden und Feinden „in Hülle und Fülle“ fand er aus der „Einsiedelei des Herzens“ nie ganz heraus. Vielleicht nur dort konnte er Traurigkeit, Ironie und Güte zu seinem unvergleichlich komischen, bekennend menschenfreundlichen Humor amalgamieren.
Ohne Witz: Ein vergnüglicher Abend, trotz weher Momente, wird aus dem schlüssig und bunt gebündelten Programm, das am Ende wirklich offenbart, wie er aussähe, der dreizehnte Monat, „wenn er sich wünschen ließe“: wie ein uhr- und ortloser Sehnsuchts-Zeit-Raum, utopisches In-eins von Frühling, Winter, Sommer, „Paradies“ ohne Austreibung … – „die Erde wär der Traum“ und Erich Kästner ihr Weltweiser, scheinbar hunderttausend Jahre alt. Die Künstler gemahnen an das Fest und die Vergänglichkeit des Lebens und feiern seine Launen und seine Lust zugleich: „Nichts bleibt, und alles ist von Dauer“, singt Julia Boegershausen. Kästner, ein – wie sie weiß – „glühender Verehrer schöner und kluger Frauen“, er hätte an ihr seine Freude gehabt.
Das Duo Boegershausen und Bewerich im Internet: hier lang.
Aus dem Baukasten des Irrsinns
In Wunsiedel amüsiert ein anderer Erwin Pelzig das Publikum als noch bei Frank-Markus Barwassers letztem Besuch vor vier Jahren: Der Satiriker hat seine prominente Kabarett-Figur fürs Programm „Der wunde Punkt“ mit einem Plus an Informiertheit und bösem Biss aufgerüstet.
Von Michael Thumser
Bad Steben, 21. März – Pelzig ist „verletzt“. Nicht, dass er sich was getan hätte. Aber beleidigt ist er, verstimmt, erbittert. „Es geht“, bekräftigte er am Samstag vor vierhundert Zuschauerinnen und Zuschauern in Wunsiedel, „es geht an diesem Abend um Kränkungen.“ Was tun nach drei Jahren Pandemie, die ihn gelehrt haben, „wie entbehrlich ich bin“, und aus denen die Welt mit einem Krieg auf dem Buckel aufgetaucht ist? Erwin Pelzig, der unterfränkische Kleinbürger in Karohemd und Trachtenjanker, mit zerknautschtem „Hütli“ auf wildem Haar und einem Herrentäschchen in den gestenreichen Händen, er hat es, seiner heiligen Einfalt trotzend, inzwischen zum gelehrigen Philosophen gebracht: Fügsam folgt er der Empfehlung des französischen Aufklärers Nicolas Chamfort, „an jedem Morgen eine Kröte zu schlucken, um sicherzugehen, bis zum Abend nichts noch Ekelhafteres“ verdauen zu müssen. Freilich, räsoniert Pelzig, „eine Kröte reicht nicht“.
Heilige Einfalt? Das war mal, in der „guten alten Zeit, damals vor drei Jahren“. Was sich schon lang abgezeichnet hat, manifestiert sich nun, im aktuellen Programm „Der wunde Punkt“, wahrscheinlich unumkehrbar: Erwin Pelzig, die halb philiströse, halb humanistische Kabarett-Figur des Satirikers Franz Markus Barwasser, hat während der Pandemie die Maske infantiler Arglosigkeit vollends abgelegt, wenn er ihr auch in früheren Jahren ein Gutteil seines doppelbödig-possierlichen Charmes verdankte; er hat die – nicht zuletzt schauspielerisch famosen – Biertisch-Scharmützel zwischen sich, dem altkonservativen Näsler Doktor Göbel und „Haddmud“, dem Vollproll, auf zwei Runden reduziert und sich dafür mit noch mehr Informationen zur Lage der Nation und der Nationen hochgerüstet.
Der Ukrainekrieg-Panzerstahl-Gaskrisen-Komplex
Konsequenterweise legte er, bissiger und böser als ehedem, an analytischer Schärfe zu. Das zeigt sich etwa, wenn er zwar sarkastisch, doch zugleich plausibel die fatalen Zwangsläufigkeiten des Ukrainekrieg-Panzerstahl-Gaskrisen-Komplexes durchdekliniert. Oder eine internationale „Liste der Kotzbrocken“ aufstellt: Putin und Kim, Trump, Orban, Bolsonaro … – lauter „verletzte, maligne Narzissten“. Steck all die Kröten in einen Sack, hau drauf – du triffst immer den Richtigen. Und nicht nur mit den Philosophen, auch mit den Romanciers hält es Pelzig: Auf „das Grauen, das Grauen“, wie Joseph Conrad, stößt er, wenn ers wagt, solcherart ins „Herz der Finsternis“ vorzustoßen.
Wie hält er es dort aus? Indem er, von den alten Denkern lernend, sich zum „Stoiker“ à la Seneca erzog. Seine Devise, wenn wieder irgendetwas Schlimmes droht: „Ja bitte, leck mich!“ Überdies perfektionierte er sein Talent, „die Perspektive anderer“ einzunehmen, was ihm am Beispiel des Corona-Virus erhellend gelingt: Darf man es dem Keim denn übelnehmen, wenn er unter den Menschen als „Zerstörer der Zerstörer“ der Welt grassiert? Freilich fällt Pelzig, dem selbst ernannten Superhirn, so viel Blut- und Geisteskühle, so viel erleuchtete Objektivität nicht immer leicht. Das bis zur Luftleere ausgeräumte Herrendäschli wringt er zwischen den sich ringenden Händen, wenn er an den Zustand der Demokratie denkt, in Italien beispielsweise: Dort taugt nach „68 Regierungen in 76 Jahren nur die Mafia als stabilsierendes Element“. Und mag er auch an diesem Abend den Frauen eifrig das Wort reden – was wohl, will er wissen, soll man von einer Gestalt wie Giorgia Meloni an der Spitze der römischen Ministerrunde halten? „Ist das ein Sieg des Feminismus oder des Faschismus?“
Wer die längste hat, gewinnt
So geflissentlich er sich hinter die feminine Hälfte der Gesellschaft stellt – streckenweise sogar im erbaulichen Ton gutmenschlicher Leitartikel –, so ostentativ geht er mit den Mackern ins Gericht; ist doch selbst in freien Demokratien wie der hiesigen „die Geschichte des weiblichen Geschlechts eine Geschichte der Kränkungen“. Währenddessen wetteifern männliche Oligarchen weltweit miteinander, wer die längste Yacht besitzt. Das lässt, diagnostiziert Pelzig erwartungsgemäß, doch scharfsinnig, ahnen, „was die Kurzpimmel alles kompensieren müssen“. Zu Recht verlangt er nach dem „Blick der Frauen und der Nonbinären auf die Welt“. Als Perspektivwechsler ist er geübt.
Allerdings: wie ernst ers wohl meint? Immerhin bekennt er sich im Streit mit einer gekränkten Damenstimme aus dem Lautsprecher selbst als „alter weißer Mann“. Zur Intelligenz des Franz-Markus Barwasser gehört, dass sein Erwin Pelzig bis zum Ende – an dem er die wichtigsten Themen des Programms noch einmal kunstreich zusammenführt – das Meiste in der Schwebe hält, auch das Gutgemeinte, Wohlwollende und politisch durchaus Korrekte. Da kommt die sogenannte Künstliche Intelligenz, auf die er mindestens so kritisch wie auf sich selber schaut, noch lang nicht mit. Wenn der Mensch, zumindest sein Geist, demnächst durch „digitales mind uploading“ Unsterblichkeit zumindest in der Cloud erlangt, so lädt er ja, zusammen mit Wissen und Intelligenz, auch seine heilige „Einfalt und Niedertracht“ mit hoch.
Insofern ändert sich grundlegend nichts: „Die Mutter der Dummheit ist immer schwanger.“ Darin sieht sich Pelzig bei jeder Begegnung mit einem jener „Verschwörungsschwurbler“ bestätigt, die sich ihre von miesen Mächten malträtierte Welt „aus dem Baukasten des Wahnsinns“ zusammenschustern. Pelzig empfiehlt, der Empfehlung Nicolas Chamforts brav folgend: nicht widersprechen; ruhig bleiben; noch eine zweite Kröte schlucken.
Mit Betonung auf dem Knödel
Der Münchner Karl Valentin war ein Großmeister des pessimistischen Humors. Seinen Trauerspielen zum Totlachen widmet das Forum Naila einen vergnüglichen Abend. Michael Lerchenberg, einst Intendant der Luisenburg, führt mit zwei Gefährten lustvoll vor, wie das geht: nach Herzenslust scheitern.
Von Michael Thumser
Bad Steben, 10. Februar – „Gar ned krank is a ned gsund.“ Mit dieser Einsicht hat Karl Valentin, der sich immer krank fühlte, sich selbst getröstet. Aber so schlecht wie der Loreley, in seiner Parodie des berühmten Heine-Gedichts, ging es sogar ihm nur selten. Beim Valentin-Abend des Forums Naila in Bad Steben schlüpft Michael Lerchenberg in ein weißes Hemdchen, um in die Rolle der berühmten Zauberin zu schlüpfen; einer gründlich abgehalfterten Version indes. Mit ersterbender Stimme bekennt er, warum die Loreley „so traurig“ ist: Frierend und mit Schmerzen „im Rückgebäu“ hat sie sich auf ihrem harten, von Wind und Wetter umtosten Rhein-Felsen („Und ziagn duads da herobn!“) eine „Saubronchitis“ eingefangen. Nun ächzt und krächzt, räuspert und hustet sie sich die arme Seele aus dem Nixenleib, schließt die verschwiemelten Augen, lässt den von Schnee bestöberten Kopf hängen … gibt den geisterhaften Geist auf. Ein Trauerspiel. Zum Lachen.
Den Schnee – aus Papierfitzelchen – werfen dienstfertige Begleiter dem Trauerklos um die kalten Ohren: der auch tonkünstlerisch ambitionierte Schauspieler Moritz Katzmair und Florian Burgmayr als Komponist und musikalischer Leiter der „Sturzflüge im Zuschauerraum“ (so heißt das Spektakel). Mit Trompete, Hörnern, Tuba im Anschlag formieren sie, weil ein avisierter vierter Mann ausbleibt, ein „Quartett zu dritt“. Wenn es tutet und bläst („Kleiner Landler in des-Moll“), klingt das bodenständig krumm, bockig, konsequent im schrägen Ton; also ganz nach Art der valentinschen Szenen, Monologe, Sketche. Und so wie die Klänge legt sich auch schon mal ein Körper quer.
Versagensängste und Absencen
An das schräge und verquere Leben des prominenten Münchner Originals erinnert Michael Lerchenberg in kurzen Zwischenreferaten. Als (Volks-)Schauspieler, Nockherberg-Barnabas und weiland Wunsiedler Luisenburg-Intendant ist er beides selber: Original und Prominenter. Den hakeligen Charakter des „Paranoikers“ Valentin, dessen lebenslang quälende „Versagensängste“, die Neigung zu „Absencen“ verschweigt er ebenso wenig wie die empörenden „Schikanen“, die dem Komiker und seiner Partnerin Liesl Karlstadt behördlicherseits das Leben ungeachtet ihrer gefeierten Auftritte schwer machten. All das hat – fast ein Glück im Unglück – Karl Valentin zum Experten werden lassen: zu einem für „das Scheitern“.
Am Sonntag vom Forum Naila ins Kurbad eingeladen, spielte das Humoristen-Trio herzhaft und mit Herz, Hingabe und Hinterfotzigkeit aus, was der bayerische Meister der absurden Bitterkomik ihnen an Steilvorlagen hinterlassen hat. Mit der Schläue, ohne die sich die Dämlichkeiten des höheren Nonsens nicht verwirklichen lassen, zugleich unverdrossen fröhlich und zu jedem Slapstick-Gag bereit, entfalten sie Valentins Humor des Pessimismus so entschieden, dass sich ahnen lässt, wo der vielleicht herkommt – nämlich, unter anderem, aus Wilhelm Buschs Bildergeschichten und ihren genüsslich ausgekosteten Verhängnissen – und wo er sich, zum Beispiel, fortsetzte: bei Loriot und den lächerlichen Katastrophen, denen dessen Gestalten unweigerlich zum Opfer fallen.
Er sei ein „komplizierter, blutiger Witz“, hat Bertolt Brecht über Karl Valentin gesagt. Mithin entfaltet sich das Bad Stebener Programm aus lauter Lust am Untergang, als Glück im Unglück für die 190 grinsenden, schmunzelnden, herauslachenden Zuschauerinnen und -schauer, die den Großen Saal füllen. Für sie fällt, der makaberen Scherzerei zum Trotz, gelegentlich auch ein fruchtbarer Tipp ab: Wenn man sich beim Essen in den Spiegel schaut, „hat man zwei Portionen“.
Ein „Linksdenker“ und seine Weiterspinner
Als kreative Adepten des „Linksdenkers“ (Kurt Tucholsky) und als Weiterspinner seiner Lehren folgt die kleine, aber überaus umtriebige und keineswegs leisetretende Truppe Valentins Appetit auf aussichtslose Situationen, die sich immer wunderlicher in die Länge ziehen, und freut sich an seiner Freude am anarchischen Chaos hart am Rand der Barbarei. Zerstörungswütig machen sie sich nicht zuletzt über die Sprache her, um sie wortreich um die letzten Reste ihres Sinns zu bringen, bis die Kommunikation an banalen Tücken des Alltags zerschellt. Das gelingt ihnen systematisch schon bei Kleinigkeiten wie den sprichwörtlich gewordenen „Semmélnknödéln“: „Die Betonung liegt auf dem Knödel.“
Erst recht vollendet sich vandalische Unvernunft, wenn Lerchenberg als borniert untauglicher Elektromeister und Katzmair als sein stupider Stift versuchen, einen defekten Scheinwerfer zu reparieren. In gleicher Besetzung führen sie zwei ältliche Kleinbürger in einen unheiligen Ehekrieg: Unverhofft sind die beiden in den Besitz von „zwei Theaterbilletten fürn ‚Faust‘“ gelangt, und weil die Vorstellung schon in einer halben (oder doch erst in einer?) Stunde beginnt, verwickeln sie sich in aller Eile in Kleiderfragen und verbalen Handgemengen. Bedenkenlos verweigert „der Mann“ jeden Anflug von Wokeness: „Das Saudümmste, was es gibt, ist doch immer noch ein Frauenzimmer.“ Als Letztere figuriert, weil Liesl Karlstadt nicht mehr zur Verfügung steht, der famose Komiker Moritz Katzmair in Kleid und Perücke; ein Outfit, das er später mit Flügelchen und Propellerhelm vertauscht: Derart technisch hochgerüstet, darf er als „Elektro-Liliput-Eindecker“, die Bühne „mit 150 Stundenkilometern“ umsausend, seinen eigenen „Sturzflug im Zuschauerraum“ hinlegen.
Einen „Sinkflug bis zum Absturz“ erlebte und erlitt Karl Valentin. Aus seiner erfolglosen, entbehrungsreichen Nachkriegszeit berichtend, macht Michael Lerchenberg verständlich, warum der Spaßvogel am Ende „so traurig“ war. Vor 75 Jahren, am 9. April 1948, ist er gestorben, wie seine Loreley nach einer Lungenentzündung. Aber immerhin: an einem Rosenmontag.
■ Nächste Veranstaltung des Forums Naila: 19.März, Bad Steben, Großer Kurhaussaal, 19 Uhr, „No Limits“ mit „The Cast – The Opera Band“
■ Das Forum Naila im Internet: hier lang.
Ohrenvergleich auf Augenhöhe
Six Pack nehmen für sich in Anspruch, das Genre der A-cappella-Comedy begründet zu haben. Glauben will mans dem Sextett gern: Beim Tourstart in Rehau bringen die Pioniere aus Bayreuth das Publikum mit tonkünstlerischen Clownerien zum Toben.
Von Michael Thumser
Rehau, 24. Januar – Startenöre und Spitzenbässe haben Gold in der Kehle. Immerhin für Silber darf man halten, was aus den Lungen, Hälsen, Mündern von Six Pack dringt, und in den besten Nummern des Bayreuther Sextetts strahlt es sogar wie Juwelen. An einsatzfreudiger Bühnenroutine und spektakellustiger Selbstsicherheit mangelt es den Herren so wenig, dass sie sich ohne Weiteres „Goldsinger“ nennen könnten. So, immerhin, heißt ihr Programm, das sie vor drei Jahren aus der Taufe hoben und mit dem sie sich gerade wieder auf Tour begeben: Den Auftakt absolvierte die Truppe, die für sich beansprucht, „das Genre der A-cappella-Comedy begründet“ zu haben, im ausverkauften Saal der Rehau-Art. Knapp zweihundert Gäste kamen aus dem Toben und Johlen nicht heraus.
„Goldsinger“? Da war doch was? An „Goldfinger“, natürlich, will der Tour-Titel denken lassen, an das James-Bond-Abenteuer von 1964, in dem der unvergleichliche Sean Connery als Agent 007 den Bösewicht Gert Fröbe zur Strecke bringt. Wirklich haben sich die Herren Betz und Burucker, Esser und Kienle, Lohmüller und Strobler wie Bond persönlich in Schale geworfen: Schwarz-weiß, in Smokings, reihen sie sich aneinander, aber ganz so ernst wie Agenten „mit der Lizenz zum Töten“ meinen sies dann doch nicht. Auch beige Trenchcoats ziehen sie sich über, wie der trottelige Inspektor Clouseau aus der „Pink Panther“-Filmreihe. Typusmäßig halten sie sich irgendwo zwischen jenen Leitsternen auf: sechs vokale Vollprofis, die sich einfältig wie Doppel-Nullen geben.
Weil der Zuschauerin aus Rehau, dem Besucher aus Hof oder Wunsiedel Agenten nur selten über den Weg laufen, beantwortet Six Pack ungefragt die Frage: Wo lebt so jemand eigentlich? „In Kognito.“ Und wo lernt ein Späher aus dem Schwarzwald sein Metier? „Beim Kuckucks-Klan.“ Derlei Kalauer-Kanonaden lassen dem prustenden Publikum die Haare zu Berge stehen; den kindlich komischen Herren selbst nicht: Beim einen ist das ergrauende Haar zu lang, der andere besitzt fast keines mehr. Mit einer Boygroup hat mans zu tun, aber freilich ist sie ein bisschen in die Jahre gekommen, und ein paar der Smoking-Jacken spannen über runden Bäuchlein, Falten werfend.
Keinem roten Faden folgen die Gaggewitter und Witzewellen, bestenfalls einem rosa Faden: Ein „böser Wicht“ greift nach der Weltherrschaft – wonach denn sonst? –, und um ihn dingfest zu machen, fahndet das Spionage-Sextett nach Fährten, Fakten, Informanten. Nur wollen die Methoden der Chaos-Komiker nicht recht verfangen: Zum James-Bond-Titelsong aus „Goldfinger“ wird ein Zuträger von schlimmen Krankenschwestern mit Wattebäuschen gefoltert, und den Auftrag, einen Verdächtigen – ist es „Karl Laschnikow“? – zu observieren, verbockt ein (angeblicher) Österreicher, indem er Obst serviert. Jeder „Spion in der Haustür“ hat mehr drauf als diese Kalten Krieger. Was den skurrilen Sketchen, die Regisseur Roland Junghans bis zur burlesken Bühnenreife inszenierte, dramaturgisch an Bindemitteln fehlt, machen Blödel-Choreografien wett, für die sich die tonkünstlerischen Clowns mit Herzenslust hergeben.
Weil fünf der Geheimdienstler um einen Quatschkopf größer sind als Bernd Esser, bedient sich der, um auf Augenhöhe zu kommen, eines Podestchens. Sogar als Freiheitsstatue will er aufragen, mit Strahlenkranz an der Stirn, Plastik-Fackel und „Onkel Donalds lustigem Taschenbuch“ in Händen. „Ich hatte sie mir größer vorgestellt“, gibt ein Kollege zu, denn Esser, trotz aller Mühe und Maskierung, ‚ragt‘ nicht sehr. Muss er auch nicht: Statt seiner steigt kurios und krönend sein famoser Countertenor hoch über den Chor der übrigen „Spitzen-Spitzel“, herzbewegend etwa in der „Barcarole“, Jacques Offenbachs schönster Schnulze, in der sich haltlose Kasperei mit hehrer Kunst vermählt.
Dafür und für das Übrige schufen Joe Greiner und Jonas Roßner Arrangements, die all dem Kokolores komplexen Halt verleihen. Weil das Stimmen der Silberkehlen und der „Ohrenvergleich“ weitgehend befriedigend vonstatten gehen, dürfen es Six Pack sich erlauben, bedenkenlos von „Bobby Brown“ zu „Blue Bayou“, von „Blue Moon“ zu „Born to be alive“ zu switchen. Dem Publikum befehlen sie, mitzuklatschen und zu tanzen, mit vollem Erfolg. Niemand bleibt sitzen: „What a wonderful life.“
Erst als der übergeschnappte Klüngel ganz zum Schluss der stehend applaudierenden Gemeinde den „Abendsegen“ erteilt - mit Engelszungen und Engelbert Humperdincks berühmtester „Stimmungsnummer“ -, kommt Ruhe auf. Ein Abschied mit Gefühl, bei dem Bernd Esser mit seinem Falsett noch einmal hingebungsvoll glänzen darf – der goldigste der Goldsinger.
Nächste Veranstaltung bei Rehau Art: 16. Februar, 19.30 Uhr, „Ring of Fire“, Johnny-Cash-Abend mit Volker Ringe (Gastspiel des Theaters Hof).
In Bayerns siebtem Himmel
Den Stoiber und den Söder, den „Kini“ und den altbairischen Dorf-Drahtzieher: Markus Krebs hat sie alle drauf. Mit grandiosen Imitationen macht der Kabarettist in Hof viel Freude.
Von Michael Thumser
Hof, 29. November – „Sie merken, dass Sie nicht mehr im Amt sind, wenn Sie im Auto hinten einsteigen und vorne keiner losfährt.“ So sagt Edmund Stoiber, der seit fünfzehn Jahren nicht mehr „im Amt“ ist: 2007 hörte er auf, bayerischer Ministerpräsident zu sein. Aber in Wirklichkeit sagt so Wolfgang Krebs, der als geborener Parodist dafür sorgt, dass der gewesene Politiker auch im Jahr 2o22 nicht aufhört, seine kurios verhaspelten öffentlichen Reden zu schwingen. So gut kann ers, dass, als er 2011 in Kaufbeuren einen Kulturpreis erhielt, der einstige Regierungschef ihm die Laudatio hielt.
„Können Sie Bayern?“ überschrieb Krebs 2014 sein damaliges Solo. Im aktuellen Programm „Vergelts Gott!“ zeigt er, dass er sie nach wie vor alle „kann“, die vergangenen und gegenwärtigen Freistaats-Männer und, auf Bundesebene, die Staats-Frau Angela Merkel auch. Sogar den bayerischen Lieblings-„Kini“ hat er reanimierend im Repertoire: In Hof, wo Krebs am Freitag im Festsaal der Freiheitshalle für ausgelassene Freude sorgte, tritt er royal in blauem Herrscher-Outfit auf, mit Orden, Aschselschnur und roter Schärpe. Als König Ludwig, der 1886 in Krebs’ Starnberger Heimatregion das Leben ließ, geht er salbungsvoll der Frage nach, warum im bayerischen Himmel keine CSU-Politiker landen – wo sie doch vor der Hölle Schlange stehen.
Von ein, zwei Handvoll scharfer Spitzen abgesehen, erweist sich der zweistündige Krebsgang satirisch als nicht sehr ergiebig. Aber die Imitation treibt der Kabarettist mit unermüdlicher Anpassungsfähigkeit auf grandiose Gipfel. Was an eigenen Pointen fehlt, ergänzt er mit altbairischer Gemütsmenschlichkeit durch Witze – wenn auch, zum Glück, weit genügsamer, als es sein Namensvetter, der Comedian Markus Krebs, als bekennender Ruhrpott-Proll tut –; warum auch nicht. Petrus, der auf den Himmel über Bayern aufpasst, mag der auch leer sein „wie ein veganes Wirtshaus in Altötting“, Petrus „steht auf schlechte Witze“. Und gute sind ja auch dabei.
Am besten gefällt dem Hofer Publikum der Edmund Stoiber: „Da liegt das Kamel im Nadelöhr.“ Für die Vorzugsrolle streift sich der verkleidungsfreudige Krebs wiederholt ein weißblaues Engelskleid mit goldenen Flügelchen über und legt sich täuschend echt den hohen, leicht gepressten Singsang-Tenor des berüchtigten Katastrophen-Rhetorikers zu. So zieht er stammelnd und stotternd, stockend und steckenbleibend über die Außenministerin „Bockbier“ und den „Reservekanister, äh Verkehrsminister“ Wissing her, über den Vizekanzler Habeck, „der immer so aussieht, als hätte jemand in seinem Gesicht geschlafen“, und über den Hofreiter, „der heute noch so ausschaut, wie die Grünen seit zwanzig Jahren nicht mehr wahrgenommen werden wollen“, über den Fußball und den Katholizismus. Da feiert sie Triumphe, die Lust an der heillos sich verfranzenden Suada, gemischt aus hoher Absurdität und logorrhoischer Geschwätzigkeit.
Zum Oberfranken hat es nicht gereicht
„Der Söder“, ätzt Stoiber in sich selbst verliebt, „ist nur Mittelfranke, zum Oberfranken hat ers nicht gebracht.“ An Großmannssucht aber ist der Nürnberger seinem ministerpräsidialen Vorgänger sogar noch überlegen. Stimmfarbe und Mimik, Körperhaltung und -sprache, Frisur und Sakko, das exolabiale Waffel-L und die aufgeweichten Konsonanten – mit allem kann Krebs dienen, auch mit dem Hauptwesenszug Söders: sich selbst in den siebten bayerischen Himmel zu loben, indem er alle Schuld auf alle anderen schiebt. Etwas weniger vorlaut lässt er den Freie-Wähler-Chef Aiwanger auftreten, als dessen „Morkenzeichen“ er erst dessen großzügigen Verzicht seines „Diolekts“ auf einen Teil der üblichen Vokale zelebriert, dann die Abneigung gegen „Soschl Media“: stammt doch der „Gschaftl-Hubert“ noch aus einer Zeit, in der man als Landwirt seinem Kontrahenten „den Schittschtorm mit dem Traktor direkt vor die Haustür gefohren“ hat.
Wolfgang Krebs „kann“ sie alle, weil er sie nicht einfach „macht“, geschweige denn nachäfft. Er steigert sich vielmehr hinein in die Gestalten, plagiiert sie nachgerade. Die Urbilder schießt er nicht hinterhältig ab wie ein Heckenschütze, auch lästert er nicht als Frontalankläger über sie, sondern spielt mit ihrer Art zu denken und zu reden. Weil Krebs sich das Wesen seiner Opfer wie seine Kostüme anzieht, wird jedes durch sich selbst entlarvt.
Angst im Dunkeln kennt er dabei nicht. Ganz tief hinein in die freistaatlich-kohlrabenschwarze Gemeindepolitik wagt er sich mit der (erfundenen) Rolle des Heberl Schorsch. Als an allen Strippen ziehender Allrounder weiß er, wie mans anstellt, dass in seinem Kaff hinter den sieben Bergen die richtige Partei gewählt wird: „In den Kabinen sind die Schnürl an den Kugelschreibern so kurz, dass du nur Liste 1 ankreuzen kannst“. Dem Großbrand beim Feuerwehrball schaut er begeistert wie einer Lightshow zu, und „für einen guten Zweck“ nimmt er einen Festschmaus mit Dunkelbockbier, vier Knödeln, Sauerkraut und zwei Enzian auf sich, selbst wenn sich danach sein Gedärm anfühlt, „als ob man eine Kokosnuss durch einen Gartenschlauch schiebt“.
Deftiges Dorfleben – aber in aller Friedhofsruhe: „A halbe Stund hat koaner gmerkt“, dass sich Heberls Neffe um des lieben Klimas willen auf der Durchfahrtsstraße festgeklebt hatte. Auch der Stoiber Edmund würde gern die Umwelt schützen, wenn man seinem krebsschen Klon trauen darf. Allerdings – künftig immer mit dem Fahrrad zur Arbeit? „Es versperrt zu viel Platz im Kofferraum.“ Dem „Kini“, mag der auch betont naturnah im Starnberger See versunken sein, kam dergleichen eh nie in den Sinn.
Die Zukunft bleibt draußen
Wenn Kabarettist Martin Zingsheim auf die Zeitläufte blickt, muss er sich wundern: „Normal ist das nicht“. In Helmbrechts stellt er den trivialen Seltsamkeiten des heutigen Alltags seine „Träume“ von einem schrägen Morgen entgegen und resümiert: „Wir haben alle einen an der Klatsche.“
Von Michael Thumser
Helmbrechts, 22. November – Irgendwas kann da nicht stimmen: Deutsch und jung genug ist dieser Mann, um sich für Fußball zu interessieren, aber den aus Katar mag er nicht gucken. Er ist bekennender Kölner, aber mit Karneval hat er nichts am Hut. „Normal ist das nicht“ – weswegen der 38-jährige Humorist gleich ein komplettes Soloprogramm so überschrieb. In Helmbrechts half er damit die diesjährigen Kulturwelten furios abzuschließen: Gleich zwei Mal trat er auf, am Samstagabend und am Sonntagvormittag, binnen weniger als 24 Stunden. Schon das ist nicht normal.
Wobei es „Humorist“ nicht oder viel zu pauschal trifft. Flott und flexibel irgendwo zwischen Kabarett und Comedy zirkuliert, was die Plaudertasche, im vollen Saal des Textilmuseums unablässig laut belacht, an Zeitsatire, Familiengeschichten und gelegentlichen infantilen Albereien singend und sagend auf den Weg seines Wortreichtums bringt. Auch darf man seinen Auftritt kein Solo nennen: Immer wenn er sich als (übrigens promovierter) Musiker am E-Piano auslebt, hat er links und rechts den geigenden Gitarrero Martin Weber und, am Schlagzeug, Claus Schulte an seinen Seiten, beide sichtlich belustigt von Zingsheims höherem Unsinn und seiner Tiefenscherzerei, obwohl sie zu dritt schon seit gut einem Jahr mit dem Programm durch die Lande touren.
FFP2 gegen Borkenkäfer
Was sich ebendort, in der Republik, ereignet, muss man nicht für „normal“ halten. Deutsch und jung genug ist Martin Zingsheim, um Anstoß zu nehmen an einer „Kanzlerin“ wie Olaf Scholz oder an einsamen Spaziergängern, die im Wald FFP2-Maske tragen („Schützt auch vor Borkenkäfern“), oder an einem gebratenen Puter „mit veganer Füllung“. Und er ist Manns genug, das Gendern zwar nicht zu verweigern, sich aber über Auswüchse zu mokieren: „Wollte man heute einen Film wie ‚Blondinen bevorzugt‘ drehen, kriegte man nicht mal mehr den Titel durch.“
Der Mann Zingsheim: ein „weißer, mitteleuropäischer, nicht-jüdischer Unbehinderter mit Job und heterosexueller Ehefrau“. Das ist normal. Trotzdem fült er sich einerseits privilegiert wie „in der Poleposition“, andererseits scheint ihm nicht recht wohl dabei. Wohl darum kommt er betont unauffällig wie ein Mainstream-Zeitgenosse daher. Zum Publikum redet er in einer geschärften Umgangssprache wie irgendein gutgelaunter heller Kopf, neben dem man als Zuschauer zufällig bei einem Fußballspiel der Kreisliga zu stehen kommt.
Allerdings sind da noch sein Blitzwitz, die kurzen, frappanten Extempores, die unvermittelten Wucherungen geschliffener Rhetorik, die stacheligen Spitzfindigkeiten, mit denen er – der eine Plaudertasche, jedoch kein Plappermaul ist – die Gäste im Saal Mal um Mal verdutzt-verzögert lachen lässt. Etwa wenn er behauptet: „Ich hatte Long Covid schon dreizehn Jahre bevor es Corona gab“; oder dass die ganze Pandemie schlechterdings ein Fake sei. Da vertauscht das übertölpelte Publikum für eine Sekunde sein Amüsement mit Misstrauen – bis Zingsheim erläuternd nachlegt. Die Täuschung, so klärt er auf, gehe auf drei Damen zurück, eine Virologin, eine Ärztin und eine Toilettenfrau: „Sie haben Corona erfunden, um es endlich hinzukriegen, dass die Männer sich die Hände waschen.“ Man sieht: Verschwörungsschwurbeleien „können auch Freude machen“ – sofern man sie sich selbst ausdenkt.
Lieber Lesch als Lindner
Wenn heute ein mikroskopischer Keim die Weltgesellschaft niederzuzwingen vermag – was erst wird morgen kommen? Angesichts real existierenden Plunders wie autonomer Autos und Schrittzähler in Handys – „Wir haben alle einen an der Klatsche“ – weiß Zingsheim: „Die Zukunft steht vor der Tür. Aber ich mach nicht auf.“ War also früher alles besser? „Da hatten wir Martin Luther King, heute haben wir Kardinal Woelki.“ Natürlich „hatte“ der Kabarettist, Jahrgang 1984, den schon 1968 schmählich ermordeten Menschenrechtler nicht. Aber „einen Traum“, wie der große Prediger, hat auch er, sogar mehrere Träume, zum Beispiel den von einer Republik, in der man „Harald Lesch und nicht Christian Lindner zum Tempolimit befragt“. Freilich, normal wär das schon längst nicht mehr.
Normal wärs, endlich statt der „falschen Helden“ die richtigen zu benennen: die Nachtdienst-Pflegerinnen im Hospiz, die Lehrer, die neben Scharen verwöhnter Wohlstandskids auch noch deren „engagierte Mütter“ im Helikopter-Modus ertragen. Ihnen widmet Zingsheim ein Spottlied als wunderbar üble Nachrede im spektakulären Falco-Punk-Stakkato wie bei „Rock me, Amadeus“. Überhaupt liegt ihm die Parodie, wenngleich er nur sparsam Gebrauch von ihr macht: Mit Reinhard-Mey-Timbre intoniert er ein Chanson über den „Lieblingssatz der Deutschen“: „Da kann ich nicht drüber lachen“ (die Deutschen im Saal lachen sehr); und das schwarzkehlige Gegröle à la Rammstein hat er ebenso drauf wie den Schunkel-Schmonzes „Kölscher“ Karnevalslieder. Kann aber sein, dass die Jecken am Rhein seine Version wenig prickelnd finden.
Als Grundlage der Rezension diente der Auftritt vom 19. November.
Richling bestraft das Leben
Vor vollem Haus gastiert der berühmte Kabarettist mit einem Jahresrückblick vor der Zeit. Es war ja auch schon viel los. Von der Krisenparade zwischen Corona und Ukrainekrieg lässt sich das Publikum der Helmbrechtser Kulturwelten den Spaß nicht verderben.
Von Michael Thumser
Helmbrechts, 31. Oktober – Mathias Richling hält auf Disziplin. Wer am gestrigen Sonntag den Auftritt des Kabarettisten bei den Helmbrechtser Kulturwelten verfolgen wollte, musste sich einem Regelwerk beugen, das den Vertretern der Medien rechtzeitig zuvor per E-Mail zugestellt worden war. Eine Hausordnung, sozusagen: Punkt für Punkt verbietet sie Publikum und Presse strikt das Fotografieren während der Aufführung und lässt es auch vorher nur nach Absprache zu; wer auf eine Pause wartet, hofft vergebens; wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Richling hat angeordnet, die Türen zum Bürgersaal um 19.30 Uhr undurchdringlich zu verschließen.
Sehr freundlich klingt das nicht. Im Grunde aber ist der berühmte Satiriker (auf der Bühne) gar nicht so. Stimmt schon, Richling straft das Leben: mit Verachtung; über Zeitläufte und -genossen zieht er schonungslos her. Doch er tut es mit der Kameraderie eines aufgeregt plappernden Schuljungen. Sein Programm „#2022“ gibt nicht bloß vor, ein Jahresrückblick zu sein, es ist auch einer; mag sein, einer vor der Zeit – bis Silvester sinds noch neun Wochen –, aber in den vergangenen zehn Monaten ist wahrlich schon genug passiert. Um das Sammelsurium herausfordernder Krisen und die Horde überforderter Krisenmanager in anderthalb Stunden zu vermanschen, ist Richling der Richtige: ein ergiebig gefüllter Faktenspeicher und zugleich hibbeliger Schnellsprecher, ein Könner des rasant-exakten Timings und der astrein abgehaspelten Tirade, ein Clown, dem nichts heilig ist, und ein kluger Kopf, dem nichts und niemand entgeht beim zappelnden Zappen durch die jüngste Zeitgeschichte.
Ein Ampelbaum in allen Farben
Die hinterließ auch im theatralen Bühnenbild (von Günter Verdin) ihre Spuren: Eine wie nach einem Verkehrsunfall abgeknickte Verkehrsampel dient dem Satiriker gelegentlich als Sitzgelegenheit, während aus einem üppigen Ampelbaum am Rand die Farben aller politischen Parteien strahlen. Derart umleuchtet fährt Richling den tagesaktuell meistgenannten Staatsmännern, -frauen und sonstigen Repräsentanten an die Kehle, aber nicht allein den amtierenden. Im Gegenteil. Den Olaf Scholz, skandalerprobten Berliner Ampel-Chef, führt er vor oder den wohlfeil predigenden Frank-Walter Steinmeier, denn das Parodieren kann der Lästerer nun mal nicht lassen. Manchmal missglückt es: Die eine oder andere Palaver-Suada hängt bis zur Pointe durch.
Häufiger aber blitzen Sternminuten der Promi-Imitation auf. Grandios hat Richling den als Lichtgestalt „von Deutschland missbrauchten“, jetzt in England borniert begriffsstutzig einsitzenden Boris Becker drauf, desgleichen den zwangsfrenetisch lärmenden Startenor Rolando Villazon. Extra ätzend äfft er den selbstgerechten Zynismus Gerhard Schröders nach, den Altkanzler und „Angestellten“ des russischen Kriegsherrn: „Ich bin nicht korrupt, aber käuflich“, lässt er ihn sagen, „und ich bin nicht billig, aber Putin kann sich mich leisten.“
Sowas sitzt. Kürzere Nadelstiche, indes nicht minder zersetzende, treffen andere abgetakelte oder jüngst aufgestiegene Polit-Protagonisten: In einem einzigen Atemzug befehdet er die Herren Laschet (den „Lachsack für Trauerfeiern“) und Lauterbach (mit seinen „mittlerweile vier eigenen Fernsehtalkshows“) und zerkleinert Frau Baerbock als Kollateralschaden gleich mit: „Eine Spielfigur der Grünen, man hätte auch Lara Croft oder Pippi Langstrumpf nehmen können.“ Bei aller Atem- und Ruhelosigkeit, bald über die Bühne tigernd, bald trippelnd hinter ihr verschwindend, hält Richling doch Disziplin: An seinem anderthalbstündigen Rhetorikstrang hängt jede kühne Krudität wohlplatziert mit allen anderen zusammen.
Körperpflege ohne Duschen
Trotzdem geht alles kreuz und quer vergnüglich durcheinander. Sogar die allseits verordneten „Sparmaßnahmen“ und die Gebote der „Sprachmoralisten“ gründen auf einem gemeinsamen Nenner: dem Gendern als „innerer Körperpflege, wenn uns das Duschen schon verwehrt wird“. Oder straffreier Drogenkonsum und tierische Lebensmittel: Cannabis sollte legalisiert werden, „damit wir uns den Hunger wegkauen, wenn Fleisch und Milch immer teurer werden“.
Wie in der Satire üblich, agiert Richling, im proppenvollen Bürgersaal schallend belacht, als mal kluger, mal neunmalkluger Entlarver. Er treibt Spott und übertreibt ihn oft. Seine Lieblingsfeinde – also auch Christian Lindner und Elon Musk – zerlegt er mit schärfster Analyse, die er mit ebensolcher Ironie verbrämt. Spüren aber lässt sich dabei, dass wohl auch er in einer Zeit, da Regeln nicht mehr gelten, aller Disziplin zum Trotz zu den „Menschen zwischen den Zeilen“ zählt: zu den ratlosen, die sich zwischen einer Horrornachricht und der nächsten verpeilt nach Orientierung sehnen. Das von Inflations- und Klima-, Seuchen- und anderweitigen Krisen heimgesuchte Leben rät er in kleinen Dosen, als „Tagesereignis“, zu genießen. Eine Sängerin der Unverwüstlichkeit wie Zarah Leander – „Davon geht die Welt nicht unter“ – käme ihm gelegen, denn er bekennt: „Wir brauchen Hoffnung.“ Darauf, dass die Welt noch eine Weile hält.
■ Nächste Veranstaltungen der Kulturwelten: 5. November, Textilmuseum (Münchberger Straße 17), 19.30 Uhr, New Shapes Quartett; 17. November, Bürgersaal (Luitpoldstraße 21), 19.30 Uhr, Max Mutzke und Marialy Pacheco.
■ Weitere Informationen im Internet: hier lang.
Die Liebe, eine Sollbruchstelle
Der Vollpfosten als Philosoph, der Trottel als Poet? Der grandiose österreichische Kabarettist Stefan Waghubinger erleuchtet auf einem dunklen Dachboden in Bad Steben das Publikum des Forums Naila. Einen Idioten spielt er und ist doch alles andere als das.
Von Michael Thumser
Bad Steben, 20. Oktober –Sitzt hier ein Narr vor uns? Oder hält uns ein Denker zum Narren? Wer – und wenn ja, was – ist das überhaupt? Wer: Als Stefan stellt er sich vor (den Nachnamen, Waghubinger, verschweigt er). Und was: ein armer Hund, ein Loser höchstwahrscheinlich, ein Trottel jedenfalls.
Ein liebenswerter Trottel, das schon. Auf dem Dachboden, der auf dem Podium im kleinen Saal des Bad Stebener Kurhauses chaotisch inszeniert ist, findet er sich ein, um noch rechtzeitig Erinnerungen an die Kindheit zu bergen. Denn aus seinem Zuhause muss er raus: In Scherben liegt die Ehe, und weil er selbst nur ungern Entscheidungen trifft, ließ er die Ex bestimmen, wer aus der Wohnung ausziehen soll. Bis ein Freund verspätet anrückt, um im Transporter seine Siebensachen abzuholen, bleibt Stefan Zeit, viel von sich, ein bisschen von Gott und jede Menge von der Welt zu erzählen: In der Sprache des Simpels finden Stück für Stück die belustigend bitteren Bekenntnisse eines Blindgängers zusammen. Stefan lacht töricht darüber. Wie ein Kind.
Wie Erwachsene lachen die Zuschauerinnen und Zuschauer. Denn Stefan Waghubingers intensiv vergnügliches Kabarett ist keine Kinderbelustigung und er selber alles andere als ein Doofkopf. Dass er, der Österreicher, das seinen Landsleuten eigene „Jammern und Nörgeln“ mit „deutscher Gründlichkeit“ betreibe, behauptete er irgendwann einmal von sich. In Wahrheit nörgelt er wenig und jammert gar nicht. Er berichtet aus einem Leben, das wie die Welt im Ganzen zum Scheitern verurteilt scheint, aber er spricht ohne Pessimismus davon, sondern gelassen und aufgeräumt und also ganz anders, als es der Schlamperei auf seinem Dachboden entspräche.
Partnerwahl im Swingerclub
Das Leben hat diesem Stefan allerlei Ernüchterndes angetan, gleichwohl wirkt er zufrieden. Von der Menschheit erwartet er sich nichts, was „Sinn macht“, aber er macht sich nichts draus. Indem Waghubinger, scharfsinnig hinter schalem Geschau, die Tugend des Unterstatements auf die Spitze treibt, kann sich sein Stefan auf dem Speicher als Analytiker mit der Aura des Analphabeten entfalten, als Dialektiker mit dem Mienenspiel des Idioten. Vor uns sitzt: die Flasche als Philosoph. Und weil er dabei das ganz eigene, wundersamen Tiefsinn offenbarende Idiom eines weisen Weichlings findet: der Vollpfosten als Poet.
Was „Pech“ ist, hat der fiktive Stefan des realen Waghubinger schon vor dem Ehe-Aus erfahren. Pech ist zum Beispiel, wenn man im darkroom eines Swingerclubs an den eigenen Partner gerät. Solche „Sollbruchstellen“ – Umstände, an denen Wichtiges berechnet schlapp macht – findet er überall, etwa an seinem Handykabel: Das geht just an dem Tag verloren, an dem die Garantie abläuft. Oft, sagt er, wisse er „vorher, was passiert, aber dann kommt es anders“. Viel Sicherheit also findet er nicht im Leben, wie seine zerbrochene Ehe erweist („Ich rede nicht gern schlecht über meine Frau, aber wer soll es sonst tun?“): Die „Sollbruchstelle“ war hier „die Liebe“. Und gerade für die gilt nun mal: „Die Erkenntnis, dass es zu spät ist, kommt meistens nicht rechtzeitig.“
Zum Glück spricht Waghubinger – Pausen, stumme Schafsblicke und glucksende Lacher einschiebend – gemächlich genug, um das Publikum überrascht bis erschrocken und allemal bestens amüsiert in die absurden Abgründe seiner vermeintlichen Plattitüden blicken zu lassen. Da will einer nur plaudern und scheint baren Unsinn zu schwätzen, unterliegt dabei aber unentrinnbar dem Zwang zu höherer Einsicht. Ein Einfaltspinsel voller Einfälle: Zwar erklärt er uns seine einfache Welt, indem er auf dem (Dach-)Boden bleibt („Früher sagten die Mütter zum Kind: Iss schön auf, sonst wird morgen das Wetter schlecht. So einfach war Klimaschutz damals“). Aber den Blick des Visionärs, im kratzig gestrickten „Raumschiff Enterprise“-Outfit des Knaben weit in die Tiefen des Menschseins wie in die Weiten des Weltraums gerichtet, den scheut er nicht. Dumm nur, dass ihm „die Sterne den Blick auf die Unendlichkeit verstellen“.
Was ist schon richtig?
Auch er will, über die Zeit hinaus, „Spuren hinterlassen“; dumm nur, dass dauernd einer hinter ihm „alles wegputzt“. Dass seine Welt ungemütlich aussieht wie der Dachboden, auf dem er es sich gemütlich macht – er grinst, lächelt, parliert es weg. Immerhin gehören zu seiner Welt so interessante Phänomene wie: Eichhörnchen mit Nuss-Allergie; ein zwei Meter fünfzig hoher Bonsai; Boxershorts mit seinem Gesicht darauf; Schrödingers Katze, seit Jahren verschollen (und vermutlich dort, wo sie hingehört: in einer Schachtel) … In seiner Welt findet sich Waghubingers Stefan ganz gut zurecht, in der unseren, der richtigen, weniger. Dort zwar, im Internet, hat er findig die Vorlage für einen Versöhnungsbrief an seine Ex gegoogelt, ihn aber leider, allzu gründlich abkupfernd, folgsam mit „Max Mustermann“ unterzeichnet: das world wide web – noch so eine Sollbruchstelle. Damit einen das „Pech“ verfolgt, muss man keinen darkroom aufsuchen.
Aber ist unsere Welt, so wenig „richtig“, wie sie ist, überhaupt die „richtige“? Oder hat uns alle, wie Waghubingers sinnierenden Stefan, die Wirklichkeit schon längst vor sich her in entrückte Kabuffs, Abstellräume, Besenkammern des Daseins getrieben? Aus dem darkroom seiner Welt erleuchtet Stefan Waghubinger die unsere. Selten ist ein Weiser so klug wie solch ein Narr in seinen lichten Momenten.
■ Alle Veranstaltungen des Forum Nailas und weitere Informationen im Internet: hier lang.
■ Stefan Waghubinger im Internet: hier lang.
Lieber TBC als Covid-19
Schon seit 35 Jahren gibt es das „Totale Bamberger Cabaret“. Aber seine Gags zünden heute noch wie ehedem – zumindest jene, die es bei einem „Best of“ dem Publikum in Kaiserhammer präsentierte. Hundert Besucherinnen und Besucher bogen sich vor Lachen.
Von Michael Thumser
Kaiserhammer, 4. Oktober – In ihrer aktuellen Ausgabe fragt die Zeit: „Was gibts da zu lachen?“ Die als durch und durch seriös geschätzte Wochenzeitung spielt damit nicht etwa auf die gerade wenig vergnügliche Nachrichtenlage an, sondern erkundigt sich danach, aus welchen Gründen, aus welchen Lagern und von welcher Art während der Sitzungen des Berliner Bundesparlaments Spaßbekundungen protokollbedürftig auftreten. Unterschieden wird zwischen „Lachen“ und „Heiterkeit“, wobei die amüsable SPD die Riege anführt und die Linke, noch vor der AfD, sie ziemlich humorlos beschließt.
Im „Kulturhammer“, am Samstag, stellte das „Totale Bamberger Cabaret“ die gegenteilige Frage: Woher kommen die auffallende Feindseligkeit und der zunehmend „rüde Ton“ im Bundestag? Zur Klärung nehmen sich Georg Koeniger, Florian Hoffmann und Michael A. Tomis die (nicht ganz glaubwürdigen) Mitschriften einer Debatte um die strittige „Bananenrückbiegeverordnung“ vor. Während die Herren mit verteilten Rollen den bürgerlichen Parteien Sitz und Stimme verleihen – für die zugewanderte Südfrucht müsse als Ausbildung hierzulande die „mittlere Reife reichen“ –, während Alexander Gauland dafür plädiert, „nur die braunen“ Bananen im Volk zu inkludieren, während Claudia Roth sich gendergerecht auch der „Bananinnen“ annimmt ... während all dies wild durcheinander verhandelt wird, fliegen den Diskutanten aus geifernden, keifenden, giftspritzenden Mündern Provokationen, Affronts und üble Nachreden der wüstesten, alles andere als freiheitlich-demokratischen Sorte um die zornroten Ohren.
Gelacht wird dennoch und gerade darum in Kaiserhammer bei Thierstein: schallend, ja brüllend gelacht von hundert Besucherinnen und Besuchern in dem nach der Corona-Flaute wieder ausverkauften Tanz- und Theatersaal des Gasthauses Egertal. Seit der dortigen Gründung des „Kulturhammers“ vor gut 26 Jahren steht der Verein in fruchtbarem Kontakt mit dem unterm Kürzel TBC bekannten, pathologisch witzigen Satiretrio, das noch länger besteht. Seit 35 Jahren macht es (in wechselnden Besetzungen) Spaß und Freude und hat zum halbwegs ‚runden‘ Geburtstag seine bislang über zwanzig Programme ausgeschlachtet: „Bevor wirs vergessen“ – so heißt die Show –, spielen sie noch einmal lauter Nummern, die so frisch, staubfrei und zeitgemäß zünden, als hätten die drei sie eigens für den Abend erdacht.
Statt Presssack Fleischtomaten
Sie sind dabei so, wie sie immer waren. Laut sind sie, umtriebig und ungebärdig, das hat man nicht vergessen; sie ziehen sich gern um und merkwürdig an, sie sparen nicht an ihrer Energie, wohl aber an Szenerie und Requisiten. Mindestens so weit reicht ihre schauspielerische Begabung, dass ihnen die Kunst der Satire – Verzeichnung, Übertreibung, Spott, Persiflage – niemals lächerlich oder abgeschmackt gerät. Auch zu singen wagen sie mit Eifer, mag ihnen Gesang auch nicht eigentlich gegeben sein, zum Beispiel als Metzger in blutbeschmierten Schürzen: „Für mich solls roten Presssack regnen“ – denn der Diätarzt erlaubt ihnen günstigstenfalls „Fleischtomaten“. Die Texte haben sie trefflich zugeschnitten, ausgefeilt, der Gegenwart angepasst. Ganz textsicher indes sind sie auf der Bühne nicht immer, was die Heiterkeit noch steigert, zumal sie einander hämisch soufflieren und selber lachen müssen. Im Zeit-Artikel fragt der Abgeordnete Timon Gremmels ja auch: „Wenn die eigene Mimik die ganze Zeit die Weltlage spiegelt – wie soll man das aushalten?“
Noch ihre Kalauer verzeiht man ihnen, und nicht nur das: Nach dem einen ersehnt man schon den nächsten. Dann etwa, wenn Michael A. Tomis, in wohlbeleibter Ungerührtheit, und der gallig-sarkastische Florian Hoffmann über den erschrocken buckelnden Georg Koeniger herfallen: Als „Bumsi“, als fränkische „Bundesbehörde für maximale Sicherheit“, treiben die beiden ihrem Opfer das aus Paderborn importierte Skatspiel aus, um ihm stattdessen den regionaltypischen Schafkopf aufzuerlegen. Zwischen „haddn“ und „waachn“ Ps und Bs, Ts und Ds erweist sich währenddessen, dass zumindest sprachlich der „Frankenschnellweg“ ein „highway to hell“ sein kann. Letzteren muss Gott persönlich nehmen, will er – Koeniger, mit Schutzhelm – auf der Baustelle Erde rechtzeitig mit seinem arg in Verzug geratenen Schöpfungsplan fertig werden. Notgedrungen hat er obendrein, während der rauschebärtige Petrus ihn fortwährend mit Dringlichem behelligt, am Telefon den unzufriedenen Zulieferer Lucifer mit schmieriger Scheißfreundlichkeit abzufertigen („Wo drückt der Pferdefuß?“) und durch einen „Obstkorb mit Paradiesäpfeln“ bei Laune zu halten.
Mit deutscher Härte
In solchen Episoden mag Koeniger darstellerisch als der Wendigste aus den dreien herausragen. Aber auch die beiden anderen wissen die Bühne solistisch zu füllen. Tomis, grandioser Parodist, bestreitet ganz allein eine „ZDF-Hitparade“: als selbstverliebt salbadernder Dieter Thomas Heck; als Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg im Duett beim „Knallroten Gummiboot; mit „Neuer Deutscher Härte“ im gutturalen Höllenbass als Rammstein im Bandformat: „Pack die Badehose ein“. Hoffmann – schwarze Bomberjacke, rote Basecap – mutiert zum hibbeligen Youtube-Influencer, um seinen staunenden Followern ein atemberaubend neues Gadget der Kommunikationstechnik anzudienen – den Brief: „Paper funktioniert völlig ohne Akku“, „im Stift sind schon alle Buchstaben drin“, und mit dem Postboten tritt einem geradezu futuristisch der erste „Datenträger auf zwei Beinen“ entgegen.
Wenn er, sagt Timon Gremmels in der Zeit, bei Afd-Reden laut lache, dann sei das „stets ein Lachen aus Verzweiflung“. Von der unbändigen, johlenden Lustigkeit des Kaiserhammerer Publikums lässt sich das nicht sagen. Aber auch hier trifft zu: Über Satire wird immer ‚trotzdem‘ gelacht. Und im Kulturhammer jetzt erst recht.
■ Die nächsten Veranstaltungen im Kulturhammer (Thierstein-Kaiserhammer, Schulweg 2): 14. Oktober, 20 Uhr, Kasita Kanto, Liedermacher; 28. Oktober, 21 (!) Uhr, Garage Rock mit der Rolling Chocolate Band; 4. November, 20 Uhr, Weltmusik mit Jodelfisch; 12. November, 20 Uhr, World Jazz mit Hotel Bossa Nova.
■ Der Kulturhammer im Internet: hier lang.