Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)

Buch & Musik
7. November 2025   „Lázár“ von Nelio Biedermann: Ein künstlerisch halbwüchsiger Autor wird zum zweiten Thomas Mann hochgepuscht. Kein guter Einfall. – Romantische Kammermusik des „deutschen Paganini“ Louis Spohr mit Musikern des WDR: Lauter „Fülle des Wohllauts“.


Von Michael Thumser

■ Nelio Biedermann: Lázár. Roman. – Rowohlt-Verlag, 331 Seiten, gebunden, 24 Euro.
Grüß dich, Traurigkeit: bonjour tristesse. In Nelio Biedermanns Roman geht alles schief. Als „Verfall einer Familie“ untertitelte Thomas Mann seine „Buddenbrooks“, und etwas in der Art erzählt der Newcomer in „Lázár“ auch. Zwar lebt der 22-Jährige in der Schweiz, entstammt aber entfernten ungarischen Wurzeln. Familienbiografisch aus ihnen genährt, berichtet er, wie vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an bis nach dessen Mitte ein magyarisches Freiherrengeschlecht durch Standesbewusstsein und Charakterschwäche, Umsturz und Krieg, Unterdrückung und Flucht seine Privilegien, Hab und Gut und seine Identität verliert.

     Was hat der Zürcher Student, was andere, Arriviertere nicht haben? Warum glänzt ausgerechnet er, der Jüngling mit dem pubertär schütteren Schnäuzer, am Sternenhimmel der geborenen Erzähler als frischgebackener Titan, um dessen (zweites) Romanmanuskript sich mehrere Verlage gerissen haben und das gleichzeitig in zwanzig Ländern und fast so vielen Sprachen erschien? Warum trifft es ihn – warum nicht, zum Beispiel, seine Landsmännin Dorothee Elmiger mit ihren „Holländerinnen“, dem Meisterwerk, das unlängst zu Recht den Deutschen Buchpreis erhielt?

     Was hat der Milchbart nicht, was andere haben? Talent, mag sein, ist ihm gegeben. Für ein „Ausnahmetalent“ darf man ihn keinesfalls halten, mögen auch berufene Kritiker und Kollegen (darunter Daniel Kehlmann) ihn für eines halten. Was sein Buch nicht hat: stilistische Durcharbeitung, eine gedankliche Durchdringung, die über die erzählte Welt nennenswert hinauswiese. Bis zur Unglaubwürdigkeit ereilt ein Unheil ums andere die Menschen, wie Tropfen an einer Schnur laufen die fatalen Episoden eine nach der andern ab. Allzu selten erklimmt die Prosa literarischen, niemals dichterischen Rang. Vielerorts klingt sie halbgar, unbeholfen, fragwürdig („Das Kleid, das sie vom Stuhl nahm, hing im Schrank“), vollends unerträglich wirds, wenn Biedermann mit altklug vollem Mund über Schriftstellerei und Glück räsoniert. 

Nelio Biedermann: Unverantwortlicher Hype um einen angeblich frühvollendeten Meister der Erzählkunst. (Foto: © Ruben Hollinger)

     Etliche missglückte Sätze blieben stehen, wie sie jedem Schreiber unterlaufen können; sie zu verbessern, sollten Lektoren sich bemühen, wofür im Hause Rowohlt in diesem Fall offenkundig niemand Anlass sah. Was an Tiefe nicht gelingen will, wird in einer nach Wichtigkeit gierender Sprache durch Prätention kompensiert („Er verzweifelte an dem Gefühl, nie eine Antwort auf das Leben, ja nicht einmal einen Umgang damit gefunden zu haben“). Andere Passagen lesen sich so unbeteiligt und neutral, als wären sie nicht Teil des Romans, sondern seiner Inhaltsangabe. Reichlich ereignet sich Sex, Erotik aber, Sinnlichkeit gehört nicht dazu.

     Den Vergleich mit „Bonjour Tristesse“, dem jugendlichen, in Stimmung und Stil so wunderbar fertigen Debüt der achtzehnjährigen Françoise Sagan von 1954, verliert „Lázár“ um Längen. Schon gar nicht darf das Buch die Nachbarschaft zu Thomas Manns genialer Familensaga beanspruchen, die der angehende Großschriftsteller begann, als er so alt war wie Biedermann heute. Gleichwohl entblöden sich zahlreiche Feuilletons nicht, an beide dasselbe Maß anzulegen: Von einem neuen „Zauberer“ gar sprach die – sonst so treffgenaue – Zeit, indem sie leichtfertig mit dem halb ironischen, halb mythifizierenden Ehrentitel jonglierte, den Mann als Magier des Erzählens von seinen Kindern erhielt. Mit verwunderlich einhelliger Marktschreierei heben desgleichen weitere, sonst anspruchsvolle Rezensenten (in Deutschlandfunk, FAS, SZ, Frankfurter Rundschau …) chorisch den Epigonen auf den Schild und stöbern ideelle Verbindungen auf zu Joseph Roth und Marcel Proust.

     Dem grünen Autor selbst ist das so wenig vorzuwerfen wie seine Jugend und ihr Ehrgeiz. Wer wollte ihm verübeln, dass er sich den Hype gefallen lässt, den sein Verlag um ihn mit solchem Erfolg zu entfesseln wusste, gewinnbringend für beide Seiten? Aus merkantilem Grund, doch ohne künstlerische Grundlage ließ eine profund unseriöse Business-Strategie den wehrlos unerfahrenen Neuling als angeblich frühvollendeten Meister im Haifischbecken der Belletristik zu Wasser. Kann er dort den Kopf oben behalten? Kaum vorstellbar, dass ihn das Feuerwerk des ephemeren Ruhms ertüchtigt, nach dem überschätzten „Zauber“-Buch einen wirklich guten Roman zu schreiben. Das aber wird er müssen, um zu bleiben. Auf dem Buchmarkt indes gilt: Hauptsache, er schreibt überhaupt was. Und schnell. Der Druck, der auf dem armen Burschen lastet, muss unerträglich sein.

■ The romantic Room: Chamber Works by Louis Spohr. – WDR-Sinfonieorchester Chamber Players, Pentatone, 6 CDs, etwa 50 Euro.
Man hat ihn zu Lebzeiten den „deutschen Paganini“ genannt, was ihm selbst nicht recht geheuer war. Heute kann die Ruhmesreden, die Zeitgenossen auf Louis Spohrs geigerisches Können hielten, niemand mehr nachprüfen. Als Tonsetzer immerhin, dies lässt sich mit Gewissheit sagen, übertraf er den italienischen „Teufelsgeiger“ und Zeitgenossen haushoch.

     Spohr, der 1859 mit 75 Jahren als gefeierter Violinist in Kassel starb, schrieb viel für Streicher – allein fünfzehn Solokonzerte –; obendrein wusste er, als Schöpfer von zehn Symphonien, mit orchestralem Vollton umzugehen. Nach ihm strebte er zum Teil ebenso in seiner Kammermusik. Von den Streichermusiken der neuen Edition nehmen nicht zuletzt die vier bildschönen Doppelquartette für sich ein. Mit acht Musikern, nicht aber als Oktett hat Spohr sie besetzt, und die Interpreten aus dem Streichercorps des WDR-Orchesters fassen sie denn auch so auf: Sowohl den konzertierenden Wechselspiel-Charakter der Stücke als auch die üppigen Volumina ihrer klanglichen Möglichkeiten ergründen sie vortrefflich. Kaum anders heben die Künstlerinnen und Künstler die sieben Quintette von der noch luzideren Intimität der Gattung Streichquartett ab. Nie aber lassen sie den Kammerrahmen hinter sich: Stets bleibt jede Stimme, vielfach virtuos, unterscheidbar von den anderen, so innig sie sich auch zu fünft ineinanderfügen.

Louis Spohr (Porträt von Johann August Nahl d.J.): Unschuldiges Opfer zeitweiliger Ignoranz. (Foto: Wikipedia/gemeinfrei)

     Noch sehr viel mehr Kammerwerke hinterließ Louis Spohr einer Nachwelt, die sich leider zunehmend in Ignoranz gefiel. Nach Spohrs Tod machte sich bornierter Zweifel an seiner inhaltlichen Einfallskraft und formalen Raffinesse breit und hielt sich teils bis heute. Nachdrücklich aber dokumentieren gerade die Ensemble-Arbeiten der aktuellen Veröffentlichung – mehr als die in der Tat nicht gleichmäßig geistvollen Symphonien und Konzerte –, wie gewandt er zwischen Mozart und Mendelssohn zu vermitteln verstand.

     Auf den Wegen jener Übergangszone folgen ihm die WDR-Chamber-Players mit einer Antriebskraft, Frische und Emotionalität, als hätten sies mit Partituren jener beiden Titanen zu tun, die, zugegeben, größer waren als er. Dem „Zauber“ Spohrs tut dies freilich keinen Abbruch – um mit Thomas Mann zu sprechen: gut sechs Stunden lang lauter „Fülle des Wohllauts“.

■ „Die Holländerinnen“, den oben erwähnten Roman von Dorothee Elmiger, rezensieren wir voraussichtlich in einer unserer nächsten Ausgaben.



Das Wunder, das eine Lüge war

Erinnerungen an die Zukunft: Die Menschheit des Jahres 2119 muss ausbaden, was ihre Vorfahren mit der Welt Schlimmes anstellten. Da schickt Ian McEwan in seinem großartigen Roman „Was wir wissen können“ einen Philologen auf die Suche nach einem genialen, seit einem Jahrhundert verschollenen Gedicht.


Von Michael Thumser

18. Oktober 2025 -  Zwei Mal, heißt es in dem Roman, sei eine illustre Schar gescheiter Menschen zu einem „immortal dinner“ zusammengetroffen. Das erste Mal liegt lang zurück: 1817 machte der Essayist und Kritiker Charles Lamb den Jungpoeten John Keats und dessen etablierten Kollegen William Wordsworth in der Nähe des britischen Hampstead miteinander bekannt, wo sich die drei über Kunst und Leben austauschten und mit Huldigungen überhäuften. Das andere „unsterbliche Abendessen“, so erzählt Ian McEwan, ereignet sich 2014 in einer luxuriös ausgebauten Scheune in der englischen Provinz: Hier trägt der blasierte, aber geniale Lyriker Francis Blundy einer Schar von Gästen ein Großpoem aus seiner Werkstatt vor. Zum Geburtstag seiner hochintellektuellen Gattin Vivien und als Geschenk für sie hat er einen „Kranz“ aus fünfzehn kompliziert verzahnten Sonetten komponiert. Ein „Meisterwerk“, rühmen die Zuhörenden; ein Gastmahl, das in die Kulturgeschichte eingeht.

Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes-Verlag, 469 Seiten, gebunden, 28 Euro.

     Für Geschichte interessiert sich 105 Jahre später allerdings nur noch eine akademische Minderheit bespöttelter Außenseiter. Das Gros der Bevölkerung hat im Jahr 2119 genug damit zu tun, die ruinöse Gegenwart zu bewältigen. Stichpunktartig listet McEwan in seinem neuen Roman auf, wie sich die Erdoberfläche bis zur Unzugänglichkeit verändert hat und wie die Menschheit um Epochen zurückgeworfen wurde: durch den Klimawandel, eine „große Überschwemmung“, die, ausgelöst von einer Wasserstoffbombe, alle küstennahen Metropolen versenkte, durch verheerende Konflikte mit konventionellen Waffen und noch verheerendere mit nuklearen. Die Vorfahren des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts „müssen ignorante, verkommene und destruktive Rüpel gewesen sein“, um ihren Kindern und Kindeskindern eine derart über „alle anfänglichen Befürchtungen“ hinaus demolierte Biosphäre zu hinterlassen. Von einst neun Milliarden Menschen blieben nach „Tsunamis, Kriegen, Hungersnöten und Krankheiten“ vier Milliarden übrig: Sie „haben es mit Ach und Krach geschafft“.

„Eine Hymne auf die Herrlichkeit der Natur“

Auf Wasserwegen durch das englische „Archipel“, zu Bibliotheken auf flutsicheren Höhen und durch zehn Jahrzehnte zwischen den Jahren 2014 und 2119 schickt der englische Erfolgs- und Spitzenromancier seinen Protagonisten Tom Metcalfe, einen Spezialisten für „90–30“, also die zwischen 1990 und 2030 entstandene Literatur. Eine mühselige und hemmnisreiche Heldenreise; nur dass Tom kein Held ist, sondern ein von Frustrationen, Überdruss und Beziehungsunfähigkeit gedemütigter Hochschul-Philologe, der mit seiner Begeisterung für die Sternstunden einer einst ‚schönen‘, aber längst überholten Dichtkunst keine Studierenden mehr hinterm Ofen hervorlockt.

     „Blundys Sonettenkranz“, schwärmt Tom als Icherzähler nostalgisch, „war eine Hymne auf die Herrlichkeit der Natur“, wie sie seither der „gefallenen Welt“ verlorengegangen ist. Auch Blundys Gedicht, altertümlich auf einer Rolle Pergament niedergeschrieben, nie kopiert und nie gedruckt, ging verloren. All die Zeit über hat es „allein in zahllosen Köpfen existiert“, zur Legende wurde es für die verbliebenen Literaturliebhaber, zum „Sammelbecken der Träume“: ein „Talisman für die Überlebenden und das Versprechen einer besseren Zukunft“. Tom macht sich mit allen methodischen Mitteln fleißarbeitender Literaturwissenschaft und beseelt vom investigativen Ehrgeiz eines Detektivs auf, um die 210 verschollenen Verse aufzustöbern.

Grundfrage der Erkenntnis

„Was wir wissen können“, der Titel des Romans, zitiert vorderhand den britischen Biografen Richard Holmes, von dem Ian McEwan das Motto für seinen achtzehnten Roman entlieh. Vor allem aber spielen die Worte an auf eine Grundfrage der Philosophie, der Erkenntnis zwischen Wirklichem, Fingiertem und Fiktivem und also auch der Literatur. Nicht allein ums „Wissen“ allerdings ist es Tom zu tun, bei weitem nicht nur um die philologische Spurensuche. Immer weiter spinnt und spintisiert er sich besessen ein in die Romanze zwischen Francis Blundy und seiner Frau Vivien, so unumkehrbar, dass er dazu neigt, auch den gefeierten Dichter unter die „ignoranten, verkommenen und destruktiven Rüpel“ zu rechnen. Aber es dauert noch, bis er und die Lesenden die von Blundy verherrlichte, in Wahrheit aber nie selbst geschaute Natur seines Gedichts als „Lüge“ entlarven. Dürfen die Verse fortan weiter als ein „Wunder“ gelten? Bevor Tom von der Ungeheuerlichkeit erfährt, die das Verschwinden des Gedichts heraufbeschworen hat, verliebt er sich in die undurchschaubare, wie Blundy längst gestorbene Vivien: „Ich stehe mit einem Fuß in der Vergangenheit, vielleicht mit beiden“, bekennt er. „Und dort lebe ich auch, 2014 oder 2025, nicht heute.“

Ian McEwan: Gläsern klar, wendig genau. (Foto: © Annalena McAfee)

     Mit der Virtuosität eines Erzählers, der seinem Publikum bisher noch jedes entlegene Sujet anschaulich und greifbar zu machen verstand, führt McEwan die weit auseinanderklaffenden Zeiträume zusammen, ohne sie je vollends zu verschmelzen. Nicht in zwei Hälften, aber in zwei ausdrücklich separate, trotzdem unauflöslich zusammengekettete Teile verzweigt sich der Stoff, an deren Nahtstelle sogar das erzählende Ich folgenreich wechselt: Denn nach ihr ergreift Vivien, Metcalfe ablösend, das Wort, um schließlich, auf den allerletzten Seiten, zu enthüllen, was aus des Gatten „Meisterwerk“ geworden ist.

Der Schiffbruch der Welt

Nicht mit der soundsovielten Variation der in Büchern und Filmen inflationären Apokalypsen mag sich McEwan abgeben; im Gegenteil: Exemplarisch führt er vor, wie sich die sonst oft triviale Schwarzseherei eindringlich sezierend in Hellsicht umünzen lässt. Eine Dystopie zwar entfaltet das Buch dabei durchaus, sogar eine beklemmend wirklichkeitsgemäße. Vor dem nüchtern protokollierten Schiffbruch der Welt aber vollzieht es detailgenau den Untergang eines Gedichts nach, das den fatalen Lauf der Dinge nicht in eine heilsame Richtung umlenkte, dessen „Biografie“ jedoch zwischen zwei, sogar drei Menschen das Fiasko geistiger Brillanz, die Zerstörung von Wahrheit und Integrität, von Treue und Vertrauen illustriert. Wenn Vivien im zweiten Teil aus der Rolle der liebenden Partnerin Blundys heraustritt, gibt sie sich als sein Widerspruch und Gegenpart zu erkennen. Zwar hat sie, wie sie berichtet, ihren vor der Zeit dementen ersten Mann Percy bis zur eigenen Entkräftung gepflegt, zur Heiligen verklärt McEwan sie, die eigentliche Hauptfigur, gleichwohl keineswegs. Sie trägt die Schuld mit, und trägt schwer an ihr, die das Buch im Globalen wie im Persönlichen unerbittlich aufrechnet.

     Neuerlich bewährt sich McEwans bestechende Gabe, das Individuelle wie das Universelle mit derselben gläsernen Klarheit und wendigen Genauigkeit darzustellen. Im Ton abgeklärten Understatements reiht er aus beiläufigen Eklats und bestürzenden Monstrositäten, aus offenkundiger Schande und verschwiegener Scham ein Wellengebilde unterschwelliger Spannungskurven aneinander, die freilich unaufhaltsam und zunehmend fesselnd zur Entladung drängen. Ohne krachende Dramatik tritt sie ein, dafür mit beklemmender Endgültigkeit.

Die Odyssee eines Gedichts

Kaum verkappt ist der Roman zugleich ein Buch über das Schreiben, über das Erzählen selbst. Wenn Tom Metcalfe der „Odyssee des Sonettenkranzes“ nachreist, so zeichnen sich dabei die kreativen Phasen einer allmählichen literarischen Stoffentwicklung ab mitsamt den Geheimnissen, zu deren außerordentlichen Hütern, Verschweigern und Preisgebern Ian McEwan spätestens seit seinem Klassiker „Abbitte“ unbedingt gehört. 

     Aber mit der Lust eines Kindes, das sein Spielzeug demontiert, um hinter dessen Mechanik zu kommen, zerreißt er im zweiten Teil durch Viviens Richtigstellung das erfinderisch gewebte Figuren-, Ereignis- und Beziehungsgeflecht wieder, das er Tom aus unzähligen Schriftquellen hat konstruieren lassen. Einen Spaß in eigener Sache macht sich der Autor nebenbei, wenn er minuziös die betrunkene Lustlosigkeit schildert, mit der während Blundys Selbst-Rezitation beim „Zweiten unsterblichen Abendessen“ jeder der zuhörenden Gäste wegdämmert wie ein „ignoranter Rüpel“. Ganz im Ernst aber beharrt McEwan, indem er die weltweit wachsenden Gefahren der Gegenwart fiktiv bis in eine desaströse Zukunft fortsetzt, auf dem auch künftigen Glauben an Poesie und an ihr Recht auf Schönheit.