Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

28. September, Hof, Theater, Studio
Auch der große Andrew Lloyd Webber hat klein angefangen. Tell me on a Sunday ist ein Frühwerk des Musicalgotts, aber ein sehr gelungenes. Als Engländerin, die in New York die ewige Liebe sucht und immer nur für eine Weile findet, legt Cornelia Löhr mit Stimmkraft und Tragikomik eine beschwingt-berührende Lebensbeichte ab. Dabei entfaltet sie drei Wolkenkratzerchen zur Klein-Skyline eines Mini-Manhattans.


Eckpunkt

Deutsch mit Mängeln

Von Curiander

29. September     Was hat Deutsch mit Chinesisch und Finnisch, Arabisch und Isländisch gemeinsam? Unsere Sprache gehört, wie die anderen genannten, nach Auskunft der Unesco zu den zehn schwierigsten auf Erden. Nun könnten wir meinen, wir als Einheimische dürften uns freuen, ein so hochkomplexes Verständigungsmedium nicht erst mühsam in der Schule lernen zu müssen, sondern es gleichsam mit der Muttermilch einzusaugen. Weit gefehlt indes: Sogar wir Muttersprachler geraten leicht ins Schlingern angesichts der zahllosen Seltsam- und Widersprüchlichkeiten unseres Wortschatzes und unserer Grammatik. „Medienkompetenz sehr gut, deutsche Sprache mangelhaft“, titelte der Deutschlandfunk Kultur schon im Jahr 2012, als er über „massive Lücken“ in den orthografischen und grammatischen Kenntnissen deutscher Studienanfänger an philosophischen Fakultäten berichtete; auch in den Jahren 2014, 2018 und so fort klangen entsprechende Verlautbarungen nicht viel optimistischer. Zum Beispiel beklagten Professoren der Zürcher Uni Im vergangenen Jahr einen „zum Teil abenteuerlichen Umgang mit der deutschen Sprache in studentischen Arbeiten“. Das Problem zeichnet sich schon lange vor dem Abitur ab: Heuer im Mai ermittelte das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, dass jeder vierte Viertklässler im Lande nicht richtig zu lesen und zu schreiben versteht. Schmerzlich kommt hinzu, dass junge Leute neben Methoden korrekter Wortwahl, Rechtschreibung und Syntax offenbar auch viele Begriffe unserer Hoch- und Alltagssprache aus dem Sinn verlieren, die Wert und Gewichtigkeit besitzen und vielen älteren Zeitgenossen lieb geworden sind. Wer etwa heute vor einer Reise sein Zeug oder seine Sachen zusammenpackt, hat das vor noch wenigen Jahrzehnten mit seinen Habseligkeiten getan – ein Wort, dessen Bedeutung die meisten zwölfjährigen Jungs und Mädchen eines humanistischen Gymnasiums in der Region schon nicht mehr kennen, wie die Latein und Deutsch unterrichtende Ehefrau des Schreibers dieser Zeilen zur Kenntnis nehmen musste. Obendrein verschwindet mit Wörtern solcher Art auch ein Gutteil Wohllaut aus unserem Gesprochenen. Als 2004 das Goethe-Institut und der in Wiesbaden ansässige Deutsche Sprachrat nach dem „schönsten deutschen Wort“ fragten – und Antworten aus 111 Ländern erhielten –, gelangten, sehr zu Recht, besagte Habseligkeiten auf Rang eins. Den zweiten Platz besetzte die Geborgenheit, jene Art von Nestwärme, wie sie nicht zuletzt von einer achtsam gepflegten Muttersprache ausgeht. Nicht alle aussterbenden Wörter sind, nur weil sie alt sind, auch altmodisch. Dass freilich farbig tönende Preziosen wie der Hagestolz und das Hasenpanier, das Labsal (für eine genussreiche Erfrischung) oder der Eidam (für den Schwiegersohn) ungeachtet ihrer Plastizität untergehen oder -gingen, ist notgedrungen dem zeitgemäßen Wandel und anpassungsfähigen Fortschritt unserer Sprache geschuldet und muss selbst von den Traditionsbewusstesten unter uns hingenommen werden. Wenn uns also ein Macho mit zu viel Gel in der Frise unangenehm auffällt, weil er reihenweise geile Girlies anmacht, die nicht bei drei auf dem Baum sind, sollten wir von ihm nicht als von einem Pomadenhengst schwadronieren, der mit jeder liebreizenden Maid poussiert. Sonst müsste es vielen – und nicht nur jungen – Leuten so vorkommen, als sprächen wir chinesisch, arabisch oder finnisch mit ihnen. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.






Rückblick

26. September, Hof, Theater, Großes Haus
Mit Wolfgang Amadeus Mozarts bis heute beliebtester Oper, der Zauberflöte, startet das Haus in die neue Spielzeit. Regisseurin Kerstin Steeb, die neuen Dialoge Ivana Sokolas und Ivo Hentschel am Pult der Symphoniker entfalten Emanuel Schikaneders notorisch abstruse Handlung von 1791 als „dystopisches Märchen“ von heute, bei dem vor allem Scheinwerfer und deren Licht die Bühnenwelt erschaffen.

23. September, Selb-Plößberg, Prozellanikon
Nichts muss der Mensch wirklich, außer – wie die Redensart richtig feststellt – „sterben und pinkeln“. Darum darf man sich dem tabubehafteten Bereich der menschlichen Defäkation auch ruhig einmal so unterhaltsam, entspannt und informativ widmen, wie die Ausstellung Klo & Co. es tut. Unabhängig von der Schau rund um die Geschichte des „stillen Örtchens“ gibt es auch einen schönen Bildband zum Thema.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Ratten
Der Kissenmann
Kasimir und Karoline
norway.today

Musiktheater
zuletzt
Tell me on a Sunday
Die Zauberflöte
Falstaff
The Terranauts

Vogtlandtheater (Plauen):
zuletzt
Zinnwald
Die Jungfrau von Orléans
Geschlossene Gesellschaft
Frühlings Erwachen (Live fast, die young)

Studiobühne Bayreuth
zuletzt
Ein Kind unserer Zeit
Glückliche Tage
Die Quizkönigin
Die Blechtrommel

Theater andernorts
zuletzt
Siegfried, Götterdämmerung in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth
Parsifal
auf dem Grünen Hügel
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg


Konzert
zuletzt
Alexandre Tharaud: Der französische Spitzenpianist glänzt in Bayreuth
„Großmeister“: Albrecht Mayer als Solist und Dirigient bei den Symphonikern
American composer:
Daniel Dendievel feiert in Selb den Exilanten Kurt Weill
Sommernachtsträume
mit dem Malion-Quartett in Schloss Fantaisie


Film und Fernsehen
zuletzt
Oppenheimer
Mission: Impossible 7/1 – Dead Reckoning

Indiana Jones und das Rad des Schicksals
46. Grenzland-Filmtage Selb


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Birgit Süß: Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof
Die 13 Monate:
Mit Kästner durchs Jahr
Pelzig alias Barwasser in Wunsiedel


Anderes
zuletzt
Wer muss, der muss: Das Porzellanikon in Selb erzählt aus der Geschichte des Klos
Bücher & Musik:
Komponistinnen, Markgrafenkirchen, Bläserserenaden
Caspar David Friedrich
und die „Vorboten der Romantik“ im Museum Georg Schäfer
Bildkunst und Gitarrenspiel
zu Gedichten von Ingrid Haushofer



Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

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Das neue Buch
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.


Weiterhin im Buchhandel
und im Internet erhältlich


VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Krise auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.