Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

28. März, Hof, Theater, Studio

Kleist-Preisträger ist er seit 2011, auch „Nachwuchsautor des Jahres“ war er schon, sogar „Dramatiker des Jahres“. Warum so viele Feuilletons den Autor Wolfram Jobst derart feiern, wird in seinen Politikern nicht deutlich. Absurd reiht der „Sprechtext“ Inhaltsloses und Zufälliges aneinander. Freude machen hingegen die drei munteren Darstellenden und die Pfiffigkeit von Christina Wugas Inszenierung.



Eckpunkt

Theorie des Streichelns

Von Curiander

19. März   Die Wenigsten von uns, und schon gar nicht die Dünnhäutigen, mögen bei jeder unpassenden Gelegenheit gleich mit einem Schlag auf die Schulter begrüßt werden. Bei taktlos hemdsärmeligen Willkommensgesten geht so mancher weiche Zeitgenosse in die Knie, aus den zarten Saiten der Mimosen unter uns schallen überlauten Rabauken Misstöne entgegen, und selbst weniger Hochsensible verschließen sich misstrauisch oder übellaunig vor allzu ungehemmter Nonchalance. Obendrein machen es uns die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und der Mee-too-Bewegung nicht eben leichter, einander unvoreingenommen anzufassen. Tatsächlich empfiehlt sich dabei Vorsicht, wenn wir bedenken, wie breit das Spektrum möglicher Berührungen ist. Zwar gehen sie in der Mehrzahl von einem Körperkontakt mit den Händen aus – dabei aber können wir einander versehentlich streifen oder schützend ergreifen, aufweckend antippen oder prüfend abtasten, schüchtern befummeln, vertraulich umarmen oder impulsiv umklammern, warnend anpacken oder grob von uns stoßen. Nicht selten, zum Glück, ereignet es sich auch, dass wir einander streicheln – Zeichen der Anteilnahme, Austausch von Herzenswärme. Doch gerade hierbei sind Behutsamkeit und also im Voraus ein paar theoretische Erwägungen angebracht. Befragen wir gängige gedruckte und digitale Wörterbücher nach Wesen und Bestimmung von etwas so Begehrtem, Angenehmem und Willkommenem wie der Streicheleinheit, so zeigen sie sich einig darin, dass es sich dabei um ein „gewisses Maß an freundlicher Zuwendung in Form von Lob, Zärtlichkeit oder Ähnlichem“ handle, wobei uns in aller gebotenen Nüchternheit zweierlei auffallen muss: Zum einen setzt die Streicheleinheit zwar Sympathie, aber keineswegs gleich Liebe voraus; und zum andern darf sie das besagte „gewisse Maß“ nicht überschreiten, sollte also unbedingt in einer Dosierung abgegeben werden, die weder die spendende noch die empfangende Person kompromittiert oder gar verletzt. Dass sich Letzteres ereignet – und in existenzbedrohendem Maß –, musste unlängst die prominenteste Liebende Italiens und der Weltliteratur erleiden: In Verona, im Hof des Anwesens Via Capello Nr. 23, begrapschten die Touristen in ihren endlosen Strömen den unschuldigen Busen der jugendlichen Julia millionenfach so unbarmherzig, dass seine mehr und mehr ausgedünnte Oberfläche jetzt nachgab und sich in einem Loch öffnete. Das will was heißen: Immerhin besteht die Haut des Mädchens aus Bronze; einem rücksichtsvollen Romeo wäre, im realen Leben, ein ähnliches Missgeschick noch in Momenten höchster Brünstigkeit wohl kaum passiert. Eine ähnliche Verstümmelung lässt der heilige Petrus, in Gestalt seines nicht minder vielbesuchten Standbilds im Petersdom zu Rom, mit märtyrerhafter Langmut über sich ergehen: Besucher des Gotteshauses haben mit ihren Händen den rechten Fuß des Apostels nicht bloß messinggelb blank gescheuert, sondern durch beständigen Abrieb zu einer Art flacher Flosse verfälscht. Derlei Körperschäden an so populären Abbildern unserer Physis warnen uns ernstlich: Wenn schon ein solider Panzer wie sorgsam gegossenes Metall unseren Zudringlichkeiten nicht standhält – wie viel mehr Schonung beansprucht dann die widerstandsfähige, freilich nicht reißfeste Schutzhülle von uns selbst? Bei dünner Haut hilft nur, was keiner Bronzestatue gegeben ist: ein dickes Fell. ■


Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

27. März, Hof, Theater, Großes Haus
So macht man sich keine Freunde: „Ich hasse alle“, bekennt der Menschenfeind Molières rundheraus und muss sich nicht wundern, wenn seine Angebetete ihm die kalte Schulter zeigt. Mit Tanz und Tändelei, ein wenig Tiefsinn und dem Terrorismus schonungslosen Slapsticks destillierte Regisseur Key Neumann aus dem barocken Lustspiel eine pointengesättigte Posse. Das Ensemble um Volker Ringe spielt famos.

26. März, Selb, Rosenthal-Theater
Die Hofer Symphoniker unter Enrico Delamboye spielen ein rein französisches Programm: Zwischen der „Petite Suite“ Debussys und Bizets kaum bekannter „Rom“-Symphonie interpretiert Tonko Huljev das Fagottkonzert André Jolivets. Der mit allen Wassern der Technik und des Ausdrucks gewaschene Künstler agiert sonst als Solofagottist des Orchesters wenig sichtbar in einer der hinteren Reihen.

23. März, Literatur
„Sollten meine Werke ganz verloren gehen, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch“, ließ Franz Kafka als letztwillige Verfügung seinen Freund Max Brod wissen. Doch bis heute hält die literarische Welt am wirkmächtigen Rätselschaffen des singulären Prosadichters fest. Mit Blick auf seinen hundertsten Todestag am 3. Juni vollzieht die ARD sein Leben in einem formal ehrgeizigen Sechsteiler nach.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Politiker
Der Menschenfeind
Dämon
Die bitteren Tränen der Petra von Kant


Musiktheater
zuletzt
1984
Anna Karenina
Sweeney Todd
Winterreise


Theater andernorts
zuletzt
Jelisaweta Bam im Vogtlandtheater
Der König stirbt in der Studiobühne
Siegfried, Götterdämmerung
in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth


Konzert
zuletzt
Französischer Abend: Die Symphoniker mit Bizets kaum bekannter „Rom“-Symphonie
Heimspiel im „Wohnzimmer“:
Die „Brassmatiker“ triumphieren in Hof
Ein spiritueller Abend:
Bruckner, Messiaen und Takemitsu bei den Symphonikern
Herzensangelenheiten:
Vier Gitarren und eine Flöte in der Hofer Klangmanufaktur



Film und Fernsehen
zuletzt
Anatomie eines Falls
The Zone of Interest
Dune: Part two
Eine Million Minuten


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Kaiser Heinrich II.: Bamberg erinnert an den Begründer des Bistums und Doms
Humanistisch bleiben: Eine Performance wirbt für Menschlichkeit im Gaza-Krieg
ORGAN2/ASLSP:
Kleine Änderung beim längsten Musikstück der Welt
Joe Bausch: Der „Tatort“-Pathologe blickt in Hof in die Köpfe von Schwerstverbrechern


Essay  
zuletzt
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag


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Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.