Eckpunkt
Duft in Dosen
Von Curiander
23. Juni Immanuel Kant, der Erzphilosoph der deutschen Aufklärung, lebte als Königsberger Stadtbürger in einer Welt, die weitaus strenger roch, als wir es uns heute vorstellen können, in unseren vergleichsweise saubergeleckten Kommunen, von den Odeurs aus Deospraydosen, Rasierwasser- und Eau des Toilette-Flakons umwabert. Vielleicht auch wegen der Unausweichlichkeit der mehrheitlich ekligen Gerüche mochte Kant das Riechen nicht. Von den fünf Sinnen achtete er das Sehen, Hören und das fühlende Tasten hoch; hingegen sprach er dem Geruchs- und dem Geschmackssinn jeden Beitrag zur Erkenntnis ab. Den ausufernden Gegenentwurf dazu lieferte Marcel Proust von 1913 an: Die ersten Seiten seines Riesenromans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschreiben, wie das bloße Aroma einer in Tee getauchten Madeleine den autobiografischen Icherzähler magisch in seine Kindheit und Jugend zurückversetzt, 4200 Seiten in sieben Bänden lang. Steht auch uns eine Tasse Tee und entsprechendes Gebäck zu Gebote, vermögen wir das Erlebnis immerhin im Ansatz nachzuvollziehen. Hingegen ahnen wir kaum, wie es in Kants Königsberg gerochen und gestunken haben mag. Oder wie roch es – so fragten dieser Tage etliche Zeitungen mit den Worten eines Agenturberichts – zu Zeiten des nur oberflächlich überfeinerten Barocks? In Jena erforscht das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, wie sich die mal schmeichelnden, mal abscheulichen Duftnoten vergangener Epochen so rekonstruieren lassen, dass unsere neuzeitlichen Nasen sie wieder wahrnehmen. Ähnliches unternimmt zurzeit ein berühmtes Museum in Spanien. Bis zum 17. Juli präsentiert der Prado auf sehr spezielle Art das Gemälde „Der Geruch“ aus der Serie über „Die fünf Sinne“, die 1618 die Freunde Jan Brueghel der Ältere und Peter Paul Rubens gemeinsam vollendeten. Es zeigt eine tiefenentspannte Nackte, wie Eva in einem Garten Eden voller bunter Blüten, saftiger Bäume, strotzender Früchte hingestreckt; ein Kleinkind oder Engelchen bietet ihr einen Blumenstrauß dar, neben sich hat sie Fläschchen und Döschen mit Salben und Düften ausgebreitet, auch leistet ihr, schwarz-grau gefleckt, eine Zibetkatze Gesellschaft, wie sie ihres Moschusbuketts wegen einstmals beliebt war. Zum synästhetischen Erlebnis wird das Schaustück durch das spanische Modeunternehmen Puig: Mittels einer „Air Parfum“-Technik versprüht es im Saal zehn zu den Bildmotiven passende Wohlgerüche, um die schnuppernden Betrachterinnen und Betrachter von heute vollends in die altflandrische Paradies-Vision zu entrücken. Pragmatisch betrachtet, kommen die hypnotisierenden Odeurs schlicht aus der Dose. Andere Dünste hingegen, sowohl willkommene wie jene von Wald, Feld und Flur, als auch widerwärtige, etwa der Dampf bäuerlicher Misthaufen oder die Gülle aus einem Schweinestall, vagabundieren frei im Freien und lassen uns die Heimat auf sehr reale Weise sinnlich erfahren. Darum forderten im Mai Bayerns Freie Wähler, jenes ländliche „Sinnes-Erbe“, ferner rurale Geräusche, unter rechtlichen Schutz zu stellen. Gut zu schützen wusste Piero Manzoni seine „Merde d’artista“, bevor er sie 1961 in neunzig Portionen unters Volk brachte: Abgefüllt in Konservenbüchsen, wird der Darminhalt des Italieners seither für Kunst ausgegeben. Als solche nähme Immanuel Kant die Dosen sicherlich nicht hin, wüsste sie aber in wenigstens einer Hinsicht zu schätzen: Man riecht nichts. ■
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