Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)

Udo doppelt, Herbert in XXL

„Ziemlich hochbegabt und leicht verrückt“: In Helmbrechts reißen die A-cappella-Komiker von La-Le-Lu das Publikum der Kulturwelten von den Sitzen.


Von Michael Thumser

Helmbrechts, 18. November – Ein PR-Foto zeigt das Quartett siegesgewiss in luftiger Höhe vor der wahrzeichenhaft aufragenden Elbphilharmonie. 2019 nahmen die drei Herren und ihre Kollegin das Wagnis auf sich, in Hamburgs grandioser, auch einschüchternder Konzerthalle den 25. Geburtstag ihres 1994 gegründeten Ensembles zu feiern – und tatens doppelt mit Fortune: zwei Auftritte, beide ausverkauft. Solcherart befeuert, beschlossen sie, erst mal nicht älter zu werden: Noch am vergangenen Freitag und Samstag begingen sie in Helmbrechts, als Gäste der Kulturwelten, ihren Fünfundzwanzigsten. Im (unter Corona-Bedingungen) vollbesetzten Bürgersaal rissen sie das Publikum mit gepfeffertem A-cappella-Gesang und ausgelassener Comedy erst zu herzlichem Gelächter und tosendem Applaus hin, schließlich – wenn auch auf Kommando – von den Sitzen.

     Als „ziemlich hochbegabt und leicht verrückt“ charakterisieren sie sich selbst. Das triffts haargenau. Mag manchen klassisch orientierten Vokalformationen der Gesang auch durchsichtiger und tiefenschärfer glücken – unüberhörbar sind die vier vom Fach. Sämtlich haben sie Musik und speziell Gesang an Hochschulen studiert, sich danach aber verabredet, ihre akademische Herkunft nicht allzu ernst zu nehmen und ihre Talente tanzend und beatboxend in eine spritzig-impulsive Show zu investieren. Manchmal (wenn auch diesmal nicht in Helmbrechts) singen La-Le-Lu auch „Lalelu“, den Schlummer-Ohrwurm, den Heinz Rühmann 1955 als herziger Kino-Papa mit rührend brüchiger Stimme seinem Filius ins Öhrchen säuselte: „Wenn die kleinen Babys schlafen …“

Eine E-Gitarre, aufblasbar

Babys aber schauen in Helmbrechts nicht zu, und an Schlaf ist nicht zu denken. Laut fangen La-Le-Lu an, machen heftig weiter und sind hundert pausenlose Minuten lang nicht zu bremsen. Bei – in coronafreien Jahren – 120 Auftritten jährlich erwarben sie sich jede Menge Routine, solche der positiven Art: Lampenfieber haben sie offenbar längst ausgeschwitzt, nie stehen die Lippen still, auch wenn es gerade mal nicht aus den Kehlen tönt und dröhnt. Bis auf den vorigen Top Act der nächste folgt, plappern sie über kleinere Umbau- und größere Umkostümierungspausen zungenflink hinweg, improvisierend und bis zum kalten Grausen kalauernd: „Aerosole mio“.

     Jan Melzer – mit schulterlanger Albrecht-Dürer-Mähne – greift in die krakeelenden, allerdings nur aufgedruckten Saiten einer aufblasbaren Gummi-E-Gitarre: Was sie an Gekreisch, Gejaule und Gejammer hören lässt, kommt in Wahrheit ohrenbetäubend ausschließlich aus Melzers Mund. Tobias Hanf, als „erotischster Bassist der A-cappella-Szene“ angekündigt, brilliert als Parodist, der so leicht nicht seinesgleichen findet: Binnen ein paar Atemzügen lässt er reihenweise Kanzler(innen) auftreten – Kohl und Brandt, Schröder, Merkel – und stellt sie mit Johannes Rau, Rudi Carrell, Karl Lauterbach zu einer possierlichen Prominentenriege zusammen. Frank Valet unterstützt das Filou-hafte Womanizer-Charisma seines Bodys exzessiv durch auratischen Soul-Gesang. Und Sanna Nyman fügt zur Frauenpower ihres temperamentvollen Leibes einen machtvollen, bei portugiesischer Folklore mitreißend ausdruckskräftigen Showsopran hinzu.

Geflutet von Corona-Speck

Ziemlich hochbegabt erweist die Truppe ein paar Pop-Größen ihre Ehrerbietung, etwa Lady Gaga und Stevie Wonder. Leicht bis schwer verrückt zieht sie über prominente Zeitgenossen ihrer Zunft her. Als doppelter Udo – Jürgens und Lindenberg – verschmelzen Valets und Melzers Stimmen zum respektlosen Duett. Kaum weniger plausibel hat Melzer den abgehackt grölenden Herbert Grönemeyer drauf und führt ihn im „XXL“-Format vor, „geflutet“ von Corona-Speck. Für eine Glanznummer schält sich Tobias Hanf aus dem lässigen Smart-casual-Dress, um in einen Frack zu steigen und sich einen Besenstiel ins Kreuz zu schieben: So mutiert er zum Max-Raabe-Klon, der mit dem Falsett des schlitzohrigen Chansonniers als „Vögelkundler“ in einem kurios gereimten Couplet nachweist, dass die Tiere den Menschen in Sachen Liebe und Lust „ein gutes Stück voraus“ sind.

     Indes lassen die vier bei der überraschendsten, vielleicht überwältigendsten Episode des Programms die Stimmen schweigen: Dann sitzen sie jeder und jede vor einem Trolley, zu fabelhafter Truppen-Trommelei verschworen. Nicht nur Quatsch, auch Qualität: Erst machen sich ihre Finger, Hände, Fäuste über die Hohlkörper der Rollkoffer her, bald auch an deren Teleskopgriffen zu schaffen, mit donnernder Präzision ein Rhythmusgewitter entfesselnd. Bei 120 Auftritten jährlich, so sagen sie, verbringt ihr Gepäck mit ihnen so manche langweilige Stunde auf einsamen Bahnhöfen. Wie es scheint, haben La-Le-Lu während gut 25 Jahren zwischen Hamburg und Helmbrechts, Elphi und Bürgersaal die Zeit gründlich zum Üben genutzt.

■ Nächste Veranstaltung der Kulturwelten: 21. November, Helmbrechts, Textilmuseum, 18.30 und 20.30 Uhr, Andreas Kümmert, Songwriter.
■ La-Le-Lu im Internet: hier lang:
■ Die Kulturwelten im Internet: hier lang.



Ohne Grau kein Glück

Chanson oder Kabarett? Lucy van Kuhl hält sich irgendwo „Dazwischen“ auf. Dem Publikum des Forums Naila kommt sie in Bad Steben mit lebensweisen Pointen und warmherziger Poesie ganz nah. Corona hat sie aber auch die Distanz zu schätzen gelehrt.


Von Michael Thumser

Bad Steben, 9. November – Als sie 2019 in Passau einen der begehrtesten Kabarettpreise entgegennahm, zeigten Pressefotos Lucy van Kuhl mit strahlend offenem Gesicht und breitem, blitzendem Lächeln, in Händen die berühmte Trophäe, das handgeschmiedete „Scharfrichterbeil“ – ein martialisches Mordinstrument mit langer, gekrümmter, gefährlich scharf aussehender Schneide. Zum 37. Mal wurde es damals, vor zwei Jahren, vergeben, aber erst zum dritten Mal an eine Frau.

     Dass die Satirikerin, die 1983 als Corinna Fuhrmann in die Welt trat, die hohe Ehrung verdient, bewies sie am Sonntag beim Forum Naila aufs Vergnüglichste; auch, dass sich ihre Gemeinsamkeiten mit einer für Streit und Hinrichtung bestimmten Axt in Grenzen halten. Denn Lucy van Kuhl ist keine jener Haudrauf-Comedians, die um einer albernen Witzelei willen gleich wild um sich schlagen. An Klingenschärfe fehlt es ihrem unaufdringlichen Witz nicht, aber sie verbindet die Pointen einer sich und andere Alltagsmenschen nachsichtig beobachtenden Humoristin mit der Poesie einer gefühlvollen Liedermacherin.

     Die Passauer Mordwaffe ist nicht die einzige Auszeichnung, die Lucys von natürlicher Plauderei unter Spannung gehaltene Selbstdarstellung würdigt. Heuer erst nahm sie den „Stuttgarter Besen“ entgegen – wiederum ein Preisobjekt, das mit ihr als fraulicher Erscheinung wenig zusammenstimmt. Flott und freundlich lächelnd betritt Lucy die Bühne des gut besuchten Bad Stebener Kurhaussaals. Eine umstandslose, dem anhaltend applaudierenden Publikum charmant zugewandte Erzählerin: Mit ihren Geschichten über eigenes und fremdes Erleben macht sie keine von sich selbst begeisterte Beauté aus sich. Im Gegenteil, keinen Zweifel lässt sie daran, dass sie sich nach Bodenhaftung sehnt und, wieder mal mitten in Corona, nach Normalität und Nähe zu den Menschen.

Zarte Hände, spitze Krallen

Allerdings hat die Pandemie auch sie gelehrt, wie leicht dergleichen verlorengehen kann. „Dazwischen“ hat sie, klug vieldeutig, ihr Programm genannt. Meint sie damit den ungewissen Zeit-Raum zwischen der dritten und der fünften Seuchen-Welle? Oder Berlin, ihren Lebensraum zwischen Köln, ihrer Geburtsstadt, und dem Zweitwohnsitz Südfrankreich? Sie meint das Bahnabteil zwischen dem vorigen und dem nächsten Auftritt. Auch den Platz zwischen Chanson und Kabarett, auf dem sie sich als studierte Literaturwissenschaftlerin und Pianistin mit zarten Händen und spitzen Krallen eingerichtet hat. Oder das Alleinsein zwischen einer Partnerschaft und der kommenden. Oder den Übergang zwischen ihrem warmherzigen Grundzustand und der lustig geträllerten Kaltschnäuzigkeit, mit der sie, zum Beispiel, einem Paar an die Gurgel geht, das sich nach fünfzig Ehejahren virtuos zu hassen versteht. „Dazwischen“ hängt Lotte, das Lesezeichen, zwischen „Literatur“ und „Müllabfuhr“, nämlich zwischen den Seiten eines Buchs, das ins Altpapier gerät.

     „Mal mit, mal gegen den Strom“ ist Lucy alias Corinna zu schwimmen gewohnt - und die Richtung stimmt immer. So steht sie den allenthalben unausweichlichen sozialen Medien mit skeptischem Sarkasmus gegenüber. Ihrem ans Smartphone verlorenen Neffen belauschte sie dabei, wie er den Fisch in einem Aquarium durch seine auf dem Glas sich spreizenden Finger „heranzoomen“ wollte. Nachdrücklich rät sie davon ab, an zufällige Straßenpassanten „Freundschafts“-Anfragen wie auf Facebook und Instagram zu richten – beim Selbstversuch seien ihr lediglich drei Polizisten und ein Psychotherapeut „gefolgt“.

     Als Therapeutin versteht sie sich selber auf der Bühne nicht. Immerhin macht sie sich mit artiger Lebensweisheit und -hilfe gern nützlich, . Warum nicht dem coronahalber verordneten Abstand auch Gutes abgewinnen? Endlich hört ein „Döner mit alles und Knoblauch“ auf, ein Angriff auf die um Atem ringende Mitwelt zu sein. Viel wichtiger freilich sind ihr Berührung und Beieinandersein, und weil sie selbst attraktiv, doch keine Diva ist, achtet sie Äußerlichkeiten gering: So wie Bioäpfel sähen auch Menschen manchmal nicht recht schön aus, dafür lägen die wertvollen „Eigenheiten“ hier wie dort „unter der Haut“. Unter die Haut geht ihr offenkundig jede Art romantischer Herzensbindung, wie der Aufrichtigkeit und den anrührenden Quintessenzen ihrer Liebeslieder anzuhören ist. Sogar an ein happy end wie im Kino ist Lucy zu glauben bereit, wobei sie, statt auf leinwandgroßen Sinnenrausch, auf Ehrlichkeit und Erdung setzt, auf eine „Liebe ohne Lachstatar“. Apropos: „Wenn Liebe durch den Magen geht – wohin geht sie, wen  sie durch den Magen durch ist?“

     Dass sich Liebe, wie jedes hohe Gefühl, im Lauf der Zeit in etwas Unliebsames verwandelt, bekennt sie im Chanson einer bemitleidenswert Verlassenen, und überhaupt hat selbst Lucy, die Gutgelaunte, durchaus ihre „Grautage“, an denen sie gar nicht erst aufstehen mag. Gekrümmt aber wie die Schneide des Passauer Beils mag sie sich solchen Tiefs nicht aussetzen – vielmehr durchquert sie die Talsohle stramm und gerade, zwar mit geschliffenen Bonmots und scharfer Zunge, aber ohne Gefahr für andere und sich selbst: Denn beides, „manche Narben“ und „viele Farben“, hält das Dasein bereit, und „ohne Grau gäbs kein Glück“.

■ Nächste Veranstaltung des Forums Naila: 19. Dezember, Bad Steben, Großer Kurhaussaal, 17 Uhr, „Berta Epple: Unterm Baum. Die Weihnachtsshow“
■ Lucy van Kuhl im Fernsehen: 26. November, SWR, 0.00 Uhr
■ Das Forum Naila im Internet: hier lang. https://forum-naila.de/