Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

25. November, Selb, Rosenthal-Theater
Eduard Hanslick fand, dass Tschaikowskis Violinkonzert „stinkt“, dafür erschnupperte Robert Schumann in der „Großen C-Dur“-Symphonie  Franz Schuberts „Weihrauch“-Düfte - sogar namhafte Kritiker liegen im Ton gelegentlich daneben. Den Hofer Symphonikern ließ sich das nicht nachsagen, als sie beide Werke intonierten. Henri-Marteau-Preisträgerin Hawijch Elders glänzte als Violinsolistin.




Eckpunkt
Alles, bloß das nicht

Von Curiander

25. November  Nicht leicht lässt sich der Faktor Zeit mit unserem Menschenleben vereinbaren. Alt werden, sagt die Redensart, wollen alle, alt sein mag niemand. Manch einer kommt uns so vor, als wär er niemals jung gewesen; andere bewahren sich noch als Erwachsene ein Stück unbeschwerter Adoleszenz; wieder andere fallen, nach reifen Jahren, am Lebensabend in eine Art Kindheit zurück. Seit unsere Spezies ihr Privileg nutzt, als einzige unter den Tieren über den Tod nachdenken zu können, sehnen sich viele bedenkenlos nach Unsterblichkeit, und der morgige Totensonntag bietet einen geeigneten Termin dafür: ein Tag zwischen morbidem Spätherbst und hoffnungsfrohem Advent. In einer der jüngsten Ausgaben berichtete die Wochenzeitung Die Zeit von aktuellen Forschungen der internationalen „Anti-Aging-Industrie“, eines „rasant aufblühenden Sektors der Pharmabranche“, die das Ziel verfolgt, „die Alterung unserer Organe zu kontrollieren“ und, „quasi als Nebeneffekt“, die durchschnittliche Lebenserwartung auf 120, 150, vielleicht gar 200 Jahre zu erhöhen. Freilich ließe der zweifelhafte Erfolg solchen Ehrgeizes die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 statt auf die ohnehin erwarteten zehn auf 25 Milliarden anwachsen, ganz zu schweigen von den seelischen Folgen für die Psyche, von „all den Verletzungen und Verlusten, die sich ansammeln würden“: „Wären die zu ertragen?“, fragt die Zeit. Unsterblichkeit? Alles, bloß das nicht. In Wahrheit setzt das Streben, sie zu erreichen, nicht den Sieg über das – im Grunde gleichgültige – Alter, sondern über den Verfall voraus. Indem die Ägypter ihre Leichen als Mumien einbalsamierten, glaubten sie sogar, mit dem Körper auch den Geist für immer zu bewahren. Und wirklich: „Die Mumie lebt“, im Kino und im Fernsehen. Dort verbreitet sie, mit tricktechnischen Grausigkeiten sehenswert hochgerüstet, viel Verderben und hat allerlei weitere Zombies und Untote im Schlepptau. An alternde Schönheitsköniginnen gemahnt dies, die unter Schichten von Kosmetik aussichtslos ihre ewige Jugend behaupten. Seit der Antike trachten Kriegsherren danach, sich durch sogenannte Heldentaten und Triumphe im Feld unauslöschlich ins Buch der Geschichte einzuschreiben. Auf ähnliche Erfolge mit friedlichen Mitteln hofften die Künstler. Jetzt mag das anders sein: In keiner Epoche war sich die Welt ihrer Endlichkeit derart bewusst wie in unserer Gegenwart. Weit mehr als von Naturkatastrophen haben wir uns durch selbst verschuldetes Unheil, durch Kriege, Massenmord, Terror, Klimawandel dazu drängen lassen, unseren Begriff von Zukunft auf ein paar Jahrzehnte zu verkürzen. So genügt den Breitenmedien heutzutage alle paar Wochen ein Sensationstor, um einen Starfußballer als „unsterblich“ auszurufen. Dabei vergeht der Ruhm noch gründlicher und schneller als das Leben. Zwar, „dem Glücklichen schlägt keine Stunde“, dichtete Friedrich Schiller, aber ebenso: „Auch das Schöne muss sterben.“ Streben – sterben: Um unserem Sinnen und Trachten den Garaus zu machen, müssen nur zwei Buchstaben die Plätze tauschen. Die letzte Stunde schlägt noch den Glücklichsten unter uns, den unverbesserlichen Optimisten. Und so gehört es sich. Bei aller Schönheit von Welt und Leben: Macht, dass wir das Schlimme in beidem nicht ewig ertragen müssen, uns nicht auch Mut? Der tröstlichste Glaube, dem der Mensch anhängen kann, ist der an Auferstehung, der unmenschlichste der Glaube an Wiedergeburt. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

21. November, Hof, Theater, Studio
Literaturadaptionen I: Im Jahr 2010 gelang dem Schriftsteller Wolfgang Herrndorf mit „Tschick“ ein Weltbestseller. 2014, ein Jahr nach seinem Freitod, erschien mit Bilder deiner großen Liebe postum eine Art Parallelgeschichte. Aus der Vorlage destillierte Regisseurin Kasia Noga eine tragikomisch untertönte, vor allem aber komödiantische Bühnenfassung. Darin tritt Isa, die Heldin, in dreierlei Gestalt auf.

21. November, Kino
Literaturadaptionen II: Viel Lob erntete 2014 Robert Seethalers Roman Ein ganzes Leben für seine lakonische Einfachheit. Ganz im selben Sinn bringt Hans Steinbichler die Geschichte eines wortkargen Bauernknechts auf die Leinwand: weitab von den „ewig singenden Wäldern“ abgeschmackter Heimatfilme von einst, eingefügt in die Panoramen einer grandiosen Gebirgswelt, worin der winzige Mensch nicht viel gilt.



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Bilder deiner großen Liebe
Timetraveller’s Guide to Donbas

Die Eisbärin

Hamlet

Musiktheater
zuletzt
A Tale of two Cities
Tell me on a Sunday
Die Zauberflöte
Falstaff

Theater andernorts
zuletzt
Siegfried, Götterdämmerung in Bayreuth
Rheingold und Walküre
in Bayreuth
Parsifal
auf Bayreuths Grünen Hügel
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg


Konzert
zuletzt
Henri-Marteau-Preisträgerin: Die Geigerin Hawijch Elders gibt Selb die Ehre
„Sehnsuchtsorte“
auf der Reiseroute von Kinan Azmeh und den Hofer Symphonikern
„Großes Herbstkonzert“
in der Basilika Waldsassen mit Schubert und Mendelssohn
Das Hofer Atrium-Quintett
mit klassisch-romantischer und -moderner Bläsermusik




Film und Fernsehen
zuletzt
Ein ganzes Leben
57. Internationale Hofer Filmtage
Oppenheimer
Mission: Impossible 7/1 – Dead Reckoning



Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
„Lichtspiel“: Daniel Kehlmanns Roman über die NS-Verstrickungen des G. W. Pabst
Stille Örtchen: Das Porzellanikon in Selb erzählt aus der Geschichte des Klos
Bücher & Musik:
Komponistinnen, Markgrafenkirchen, Bläserserenaden
Caspar David Friedrich
und die „Vorboten der Romantik“ im Museum Georg Schäfer


Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

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Die Bücher
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Krise auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.