25. November Nicht leicht lässt sich der Faktor Zeit mit unserem Menschenleben vereinbaren. Alt werden, sagt die Redensart, wollen alle, alt sein mag niemand. Manch einer kommt uns so vor, als wär er niemals jung gewesen; andere bewahren sich noch als Erwachsene ein Stück unbeschwerter Adoleszenz; wieder andere fallen, nach reifen Jahren, am Lebensabend in eine Art Kindheit zurück. Seit unsere Spezies ihr Privileg nutzt, als einzige unter den Tieren über den Tod nachdenken zu können, sehnen sich viele bedenkenlos nach Unsterblichkeit, und der morgige Totensonntag bietet einen geeigneten Termin dafür: ein Tag zwischen morbidem Spätherbst und hoffnungsfrohem Advent. In einer der jüngsten Ausgaben berichtete die Wochenzeitung Die Zeit von aktuellen Forschungen der internationalen „Anti-Aging-Industrie“, eines „rasant aufblühenden Sektors der Pharmabranche“, die das Ziel verfolgt, „die Alterung unserer Organe zu kontrollieren“ und, „quasi als Nebeneffekt“, die durchschnittliche Lebenserwartung auf 120, 150, vielleicht gar 200 Jahre zu erhöhen. Freilich ließe der zweifelhafte Erfolg solchen Ehrgeizes die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 statt auf die ohnehin erwarteten zehn auf 25 Milliarden anwachsen, ganz zu schweigen von den seelischen Folgen für die Psyche, von „all den Verletzungen und Verlusten, die sich ansammeln würden“: „Wären die zu ertragen?“, fragt die Zeit. Unsterblichkeit? Alles, bloß das nicht. In Wahrheit setzt das Streben, sie zu erreichen, nicht den Sieg über das – im Grunde gleichgültige – Alter, sondern über den Verfall voraus. Indem die Ägypter ihre Leichen als Mumien einbalsamierten, glaubten sie sogar, mit dem Körper auch den Geist für immer zu bewahren. Und wirklich: „Die Mumie lebt“, im Kino und im Fernsehen. Dort verbreitet sie, mit tricktechnischen Grausigkeiten sehenswert hochgerüstet, viel Verderben und hat allerlei weitere Zombies und Untote im Schlepptau. An alternde Schönheitsköniginnen gemahnt dies, die unter Schichten von Kosmetik aussichtslos ihre ewige Jugend behaupten. Seit der Antike trachten Kriegsherren danach, sich durch sogenannte Heldentaten und Triumphe im Feld unauslöschlich ins Buch der Geschichte einzuschreiben. Auf ähnliche Erfolge mit friedlichen Mitteln hofften die Künstler. Jetzt mag das anders sein: In keiner Epoche war sich die Welt ihrer Endlichkeit derart bewusst wie in unserer Gegenwart. Weit mehr als von Naturkatastrophen haben wir uns durch selbst verschuldetes Unheil, durch Kriege, Massenmord, Terror, Klimawandel dazu drängen lassen, unseren Begriff von Zukunft auf ein paar Jahrzehnte zu verkürzen. So genügt den Breitenmedien heutzutage alle paar Wochen ein Sensationstor, um einen Starfußballer als „unsterblich“ auszurufen. Dabei vergeht der Ruhm noch gründlicher und schneller als das Leben. Zwar, „dem Glücklichen schlägt keine Stunde“, dichtete Friedrich Schiller, aber ebenso: „Auch das Schöne muss sterben.“ Streben – sterben: Um unserem Sinnen und Trachten den Garaus zu machen, müssen nur zwei Buchstaben die Plätze tauschen. Die letzte Stunde schlägt noch den Glücklichsten unter uns, den unverbesserlichen Optimisten. Und so gehört es sich. Bei aller Schönheit von Welt und Leben: Macht, dass wir das Schlimme in beidem nicht ewig ertragen müssen, uns nicht auch Mut? Der tröstlichste Glaube, dem der Mensch anhängen kann, ist der an Auferstehung, der unmenschlichste der Glaube an Wiedergeburt. ■
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Rückblick
21. November, Hof, Theater, Studio
Literaturadaptionen I: Im Jahr 2010 gelang dem Schriftsteller Wolfgang Herrndorf mit „Tschick“ ein Weltbestseller. 2014, ein Jahr nach seinem Freitod, erschien mit Bilder deiner großen Liebe postum eine Art Parallelgeschichte. Aus der Vorlage destillierte Regisseurin Kasia Noga eine tragikomisch untertönte, vor allem aber komödiantische Bühnenfassung. Darin tritt Isa, die Heldin, in dreierlei Gestalt auf.
21. November, Kino
Literaturadaptionen II: Viel Lob erntete 2014 Robert Seethalers Roman Ein ganzes Leben für seine lakonische Einfachheit. Ganz im selben Sinn bringt Hans Steinbichler die Geschichte eines wortkargen Bauernknechts auf die Leinwand: weitab von den „ewig singenden Wäldern“ abgeschmackter Heimatfilme von einst, eingefügt in die Panoramen einer grandiosen Gebirgswelt, worin der winzige Mensch nicht viel gilt.
Theater Hof
Schauspiel
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Bilder deiner großen Liebe
Timetraveller’s Guide to Donbas
Die Eisbärin
Hamlet
Musiktheater
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A Tale of two Cities
Tell me on a Sunday
Die Zauberflöte
Falstaff
Theater andernorts
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Siegfried, Götterdämmerung in Bayreuth
Rheingold und Walküre in Bayreuth
Parsifal auf Bayreuths Grünen Hügel
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg
Konzert
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Henri-Marteau-Preisträgerin: Die Geigerin Hawijch Elders gibt Selb die Ehre
„Sehnsuchtsorte“ auf der Reiseroute von Kinan Azmeh und den Hofer Symphonikern
„Großes Herbstkonzert“ in der Basilika Waldsassen mit Schubert und Mendelssohn
Das Hofer Atrium-Quintett mit klassisch-romantischer und -moderner Bläsermusik
Film und Fernsehen
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Ein ganzes Leben
57. Internationale Hofer Filmtage
Oppenheimer
Mission: Impossible 7/1 – Dead Reckoning
Kleinkunst, Kabarett, Comedy
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Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß: Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht: Günter Grünwald in Hof
Anderes
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„Lichtspiel“: Daniel Kehlmanns Roman über die NS-Verstrickungen des G. W. Pabst
Stille Örtchen: Das Porzellanikon in Selb erzählt aus der Geschichte des Klos
Bücher & Musik: Komponistinnen, Markgrafenkirchen, Bläserserenaden
Caspar David Friedrich und die „Vorboten der Romantik“ im Museum Georg Schäfer
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Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker
Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten
Katakomben in Rom, Paris, Wien
Die Bücher
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