Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

1. Oktober, Hof, Freiheitshalle, Festsaal

Nicht weniger als 23 Jahre war der Posten des Chefdirigenten in Hof vakant - jetzt hat Martijn Dendievel, dem Publikum der Symphoniker bereits von großartigen Gastauftritten bekannt, das Amt angetreten. Zum Start in die Konzertsaison leitete er Werke von Liszt und Tschaikowsky. Als Violinsolist in Richard Blackfords „Niobe“ brillierte Tobias Feldmann, der 2011 beim Marteau-Wettbewerb abräumte.



Eckpunkt

Schwund ist immer

Von Curiander

28. September   Über uns gehen sehr merkwürdige Dinge vor, am Himmel herrscht geradezu ein Kommen und Gehen. Dass, nur als Beispiel, der Swing-Bandleader Glenn Miller der Welt des Jazz abhandenkam, an deren Firmament er in der 1940er-Jahren als einer der hellsten Sterne strahlte, jährt sich demnächst zum achtzigsten Mal: Als Luftwaffen-Offizier war er am 15. Dezember 1944 über dem Ärmelkanal in einem Flugzeug unterwegs, bis er damit vom Himmel fiel – seinen Zielort Paris erreichte er nie, und wo die Maschine mit ihm abgeblieben ist, kam nie ans Licht. Im Sommer desselben Jahrs war über den Bestseller-Autor des „Kleinen Prinzen“ ein ähnliches Schicksal verhängt: Von seinem letzten, auf Korsika gestarteten Flug kehrte Antoine de Saint-Exupéry, erfahrener und begeisterter Pilot, nicht zurück, und erst über ein halbes Jahrhundert später erfuhren seine zigmillionen Leserinnen und Leser Näheres über die Umstände seines Todes im Meer vor Südfrankreich, wo im Jahr 2000 das Wrack seines Flugzeugs gefunden wurde. Bezeichnend, dass er schon einmal beinah abgestürzt war: 1935 sah er sich gezwungen, in der Nordsahara notzulanden, wo er fast verdurstet wäre, bis ihn nach fünf Tagen eine Karawane mitnahm. Aber nicht nur Stars, auch echte Sterne verschwinden, scheinbar einfach so. Dieser Tage nannte das Online-Wissenschaftsportal spektrum.de die überraschende Zahl von 5399 Leuchtkörpern, die in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts dem Nachthimmel beim Glitzern halfen, aber in unseren 2020ern – wie Vergleiche neuerer Himmelskarten mit älteren erwiesen – in der Astronomie als abgängig gelten, ohne dass sie als Supernovae explodiert wären. Ein bisschen Schwund ist immer, aber irgendetwas naturwissenschaftlich Begründbares muss mit ihnen geschehen sein, nur können die Forschenden bislang bestenfalls mit dürftigen Theorien zur Lösung des kosmischen Mysteriums beitragen. Immer mal wieder erleben wir selbst, wie uns das Gros der Sterne einfach aus dem Blick gerät: Vom Sternenmeer, wie wir es im Dunkel von Orten bestaunen, die weit genug von der Zivilisation entfernt sind, bleiben nur ein paar Handvoll heller Punkte übrig, sobald wir nächtens in der Stadt unser Augenmerk nach oben richten. Verloren sind die anderen Leuchtpunkte dem Himmelszelt darum nicht; nur vermag unsere Netzhaut ihren Schein vorm schwarzen Hintergrund nicht auszumachen, weil die Grundhelligkeit urbaner „Lichtverschmutzung“ ihn überdeckt. Zugleich taugt wenig so gut wie unser Bild vom Sternenhimmel dazu, uns die unumstößliche Binsenweisheit zu bestätigen, der zufolge nichts ewig hält und nur der Wandel Bestand hat: Denn das Licht der Sterne, die wir wahrnehmen, ist jahrhunderte- oder jahrzigtausendelang unvorstellbar schnell zu uns unterwegs – wer garantiert uns, dass die eine oder andere der riesigen Gas- und Feuerkugeln, während Äonen menschlicher Himmelsguckerei zu Sternbildern gruppiert, nicht schon längst mit gleißendem Pomp unterging? Wenn sich indes auf Erden Idole, Diven, Publikumslieblinge nach kurzem Ruhm verflüchtigen, so vollzieht sich das oft ohne Glanz und Schönheit, was besonders tragisch der Fall Daniel Küblböcks illustriert: Der Sänger und verhinderte „Superstar“ ging 2018 während einer Kreuzfahrt von Hamburg nach New York auf Nimmerwiedersehen buchstäblich unter. Ein Stern, ein Star wurde er erst eigentlich, nachdem er verschwunden war und gerade weil er erlosch. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.

Rückblick

24. September, Hof, Theater, Großes Haus
Der neue Intendant des Hauses führt sich mit einer ehrgeizigen Inszenierung beachtenswert ein: Lothar Krause breitet in Claudio Monteverdis Krönung der Poppea - genauer: in der neoklassizistischen Bearbeitung der Oper durch Ernst Krenek - ein Zwischenreich, halb verschwommene Vergangenheit, halb stilisiertes Jetzt, aus und spielt dort eine blutige Politintrige mit überraschendem Ausgang durch.  

21. September, Essay
Der „schönste Krimi aller Zeiten“?  An Pfingsten 1828 tauchte Kaspar Hauser in Nürnberg auf. Nach seinem mysteriösen Tod fünf Jahre später kam die Legende auf, der berühmteste Findling Europas sei der - als Baby heimlich auf die Seite gebrachte - Titelerbe des großherzoglichen Hauses Baden gewesen. Doch räumt eine DNS-Untersuchung mit der viel kolportierten Verschwörungssage jetzt endgültig auf.  



Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Plutos oder Wie der Reichtum sehend wurde
Vorhang auf für Cyrano!
Die Politiker
Der Menschenfeind


Musiktheater
zuletzt
Die Krönung der Poppea
Dante
Zorro
1984


Theater andernorts
zuletzt
Tristan und Isolde auf dem Grünen Hügel
The Rake’s Progress
in Plauen
Jelisaweta Bam
im Vogtlandtheater
Der König stirbt in Bayreuths Studiobühne


Konzert
zuletzt
Programmmusik, dreifach: Eine deutsche Erstaufführung bei den Symphonikern
Reichen: Der Kammerchor Hof mahnt eindringlich zur Mäßigung
Klavierlegende: Martha Argerich mit Jura Margulis im Markgräflichen Opernhaus
Himmelfahrt zu den Planeten:
Die  Symphoniker mit  englischem Programm



Film und Fernsehen
zuletzt
To the Moon
Die Herrlichkeit des Lebens
Sterben
Civil War


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Olaf Schubert bewertet die Schöpfung
Philipp Scharrenberg verwirrt Bad Steben
Birgit Süß:
Das Graue vom Himmel
Definitiv vielleicht:
Günter Grünwald in Hof


Anderes
zuletzt
Musik & Buch: Franz Schmidt, Schubert/Webern/Mahler, Puccini, Holocaust
Aus dem Leben alter Häuser: Begleitbuch zur Hofer Stadtbrand-Ausstellung
Kaiser Heinrich II.: Bamberg erinnert an den Begründer des Bistums und Doms
Humanistisch bleiben: Eine Performance wirbt für Menschlichkeit im Gaza-Krieg


Essay  
zuletzt
Das Findelkind Europas: Kaspar Hauser war nachweislich kein Fürstenspross
Das Kleinmaleins des Lebens

Erich Kästner, doppelt und dreifach
Schwebende Verfahren
Zum 100. Todestag Franz Kafkas
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Geburtstag des Stückeschreibers


_____________________________________


Die Bücher
Erhältlich über den Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.



VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Pandemie auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeitet. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen deren raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.