Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)
Aktuell

30. Mai, Hof, Theater, Studio

1870 brachte Leopold von Sacher-Masoch seinen berüchtigten Roman Venus im Pelz heraus. Als Spiel im Spiel ist nun zu erleben, wie ein Regisseur und eine suspekte Actrice den „masochistischen“ Stoff für die Bühne probieren. In Antje Hochholdingers saftiger Inszenierung kristallisieren sich aus dem Macht- und Lustgerangel  Unschärferelationen zwischen Schmerz und Vergnügen, Mann und Frau heraus.

30. Mai, Leipzig, Gewandhaus
ho-f anderwärts: 35.000 Gäste binnen neunzehn Tagen - mit einer mehr als ansehnlichen Bilanz ging das Mahler-Festival zu Ende, das zweite nach 2011. Zum Abschluss dirigierte Andris Nelsons 400 Mitwirkende - Riesenorchester, Chöre, Solistinnen und Solisten - bei Mahlers Achter, seiner „Symphonie der Tausend“: ein Klangkoloss, der überwältigend nach Planeten, Sonnen, Universen greift.


Eckpunkt

Mit Überlänge

Von Curiander

20. Mai   An diesem besonderen Theaterabend gibt es 1 Virginia und 100 Martys auf der Bühne. Von den Herren samt und sonders gleichen Namens empfängt die Dame einen nach dem anderen, um immer wieder ein und dieselbe Szene durchzuspielen: den Moment, der besiegelt, dass die Beziehung des Paares alle Reste einstiger Romantik verloren hat und die beiden auseinandergehen werden. Seit Freitagnachmittag und noch bis heute, Samstag, 16 Uhr, präsentiert das Londoner Young Vic Theatre sowohl engelsgeduldigen wie eiligen Besucherinnen und Besuchern ein Stück, das für sich wahrlich Überlänge reklamieren darf, auch wenn „The second Woman“ – so der Titel – immer den gleichen kurzen Abschied verhandelt: Denn 24 pausenlose Stunden lang geht Ruth Wilson als Virginia Mal um Mal das Scheitern ihrer Liebe durch, wobei der Golden-Globe-Gewinnerin besagte Hundertschaft von hetero- und homosexuellen Männern, nicht binären und queeren Partnern gegenübertritt. Überwältigt pries die Zeitung The Guardian die „von der Idee bis zum Ergebnis atemberaubende kreative Leistung“ schon im Voraus. Wer sie begutachten will, kann dies während der kompletten 24-stündigen Vorstellung tun – oder sich, sobald er genug gesehen hat, wieder aus dem Auditorium davonmachen. Allerdings ist, was wie ein Guinness-Buch-verdächtiger Rekord aussieht, gar keiner. Als längste Aufführung eines regulären Bühnenensembles gilt seit neun Jahren ein Marathon des US-amerikanischen Lamb’s Player Theatre in der kleinen Stadt Coronado, Kalifornien: Dort hörte die Truppe erst zu spielen auf, nachdem sie während 76 Stunden, achtzehn Minuten und 25 Sekunden mehr als fünfzig Dramen- und Musical-Szenen abgearbeitet hatte; sogar hundert Stunden hätten die Damen und Herren gut durchgehalten, wäre zuvor nicht die Zahl der Zuschauenden den Vorgaben zuwider auf weniger als zwanzig gesunken. Bereits 1987 stand in London der Schauspieler Adrian Hilton auf der Bühne: Um beim Shakespeare-Festival ganz allein das Gesamtwerk des Bard of Avon vorzutragen, nahm er sich konditionsstark 110 Stunden und 46 Minuten Zeit – eine Bestmarke, die offenbar seither noch niemand geknackt hat. Doch selbst solche Ausnahmeresultate können einem wie Kurzdarbietungen vorkommen, wenn man sie am wirklich längsten Theaterstück der Welt misst. Das wird Jahr für Jahr im Herbst von Abertausenden vielfach bettelarmer, dennoch möglichst festlich gekleideter Inderinnen und Indern geradezu religiös gefeiert: „Ramlila“ lautet sein Titel, zwischen zehn Tagen und einem ganzen Monat, wie in der heiligen Hindu-Stadt Benares, kann es dauern. Erzählt wird darin (sehr verkürzt gesagt) von der Odyssee des makellos schönen und guten Gottkönigs Rama und seinem siegreichen Kampf gegen Ravana, den Herrscher der Dämonen. Ausschließlich Kinder spielen all das vor – und nur solche aus der höchsten Kaste der Brahmanen –, denn nur ihnen trauen die gläubigen Inder eine derart reine Unschuld zu, dass sie sich unterfangen dürfen, als Götter zu agieren. Auf ein bis zu 2300 Jahre altes Nationalepos geht der Stoff zurück, wurde aber erst von dem mystischen Dichter Tulsidas niedergeschrieben, dessen Todestag sich heuer zum 400. Mal jährt. Europas moderne Kulturmenschen halten schon große Stücke auf sich, wenn Sie Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ durchhalten: Läppische sechzehn Stunden dauern die vier Opern alles in allem; in Festspiel-Bayreuth werden sie schonungsvoll über sechs Tage verteilt. ■

Alle früheren Kolumnen im Eckpunkte-Archiv.






Rückblick

27. Mai, Wunsiedel, Luisenburg
Offiziell werden die Festspiele auf der Naturbühne erst am 16. Juni eröffnet. Traditionsgemäß hatten aber auch heuer die Kinder das erste Wort und Vergnügen: Susanne Felicitas Wolf hat das Märchen Die Schöne und das Biest in ein modernes Familienstück gegossen. Die eher turbulente als poetische Version des französischen Originalstoffs machte bei der Premiere dem Kinderpublikum viel Freude.

27. Mai, Hof, Adventisten-Kapelle
Klassische Gitarrenmusik ist immer ein Akt der Intimität. Auch wenn zwei Gitarristen miteinander musizieren: Dann entsteht ein Dialog der Vertraulichkeit, die freilich leidenschaftlichen Mitteilungen nicht im Weg steht. Zu Gast bei Dietmar Ungeranks jüngstem „Gitarrenhighlight“, demonstrierten Krzysztof Pełech und Robert Horna aus Polen die staunenswerten Energien solcher Zwiegespräche.

 


Theater Hof

Schauspiel
zuletzt
Die Ratten
Der Kissenmann
Kasimir und Karoline
norway.today

Musiktheater
zuletzt
Fast wie es euch gefällt
Brigadoon
Der Soldat und die Tänzerin
Die weiße Rose

Vogtlandtheater (Plauen):
zuletzt
Zinnwald
Die Jungfrau von Orléans
Geschlossene Gesellschaft
Frühlings Erwachen (Live fast, die young)

Studiobühne Bayreuth
zuletzt
Ein Kind unserer Zeit
Glückliche Tage
Die Quizkönigin
Die Blechtrommel

Theater andernorts
zuletzt
Die Schöne und das Biest auf der Luisenburg
Tristan
bei den Bayreuther Festspielen
Amadeus
auf der Luisenburg
Trolle unter uns
auf der Luisenburg


Konzert
zuletzt
„Gitarrenhighlight“ mit dem Duo Pełech-Horna aus Polen
Vivi Vassileva:
Die junge Weltklasse-Perkussionistin aus Hof begeistert Bayreuth
Liebe & Licht:
Die Bad Reichenhaller Philharmoniker bei der Musica Bayreuth
Komponierende Romantikerin: Die Symphoniker stellen Emilie Mayer vor



Film und Fernsehen
zuletzt
46. Grenzland-Filmtage Selb
Im Westen nichts Neues
Sonne und Beton
Caveman


Kleinkunst, Kabarett, Comedy
zuletzt
Definitiv vielleicht: Günter Grünwald in Hof
Die 13 Monate:
Mit Kästner durchs Jahr
Pelzig alias Barwasser in Wunsiedel
Karl Valentin
alias Michael Lerchenberg


Anderes
zuletzt
Caspar David Friedrich und die „Vorboten der Romantik“ im Museum Georg Schäfer
Bildkunst und Gitarrenspiel
zu Gedichten von Ingrid Haushofer
In blaukalter Tiefe:
Die Bestsellerautorin Kristina Hauff liest aus ihrem neuen Roman
Peter-Michael Tschoepe: Mammut-Ausstellung seiner Arbeiten in Hof


Essay  
zuletzt
Ein Quantum Brecht muss bleiben
Zum 125. Todestag des Stückeschreibers
Symphonien des Grauens
125 Jahre „Dracula“ von Bram Stoker

Man muss ihn nicht mögen
Napoleon zum 200. Todestag
In den Städten der Toten

Katakomben in Rom, Paris, Wien

_____________________________________


Das neue Buch
Erhältlich im Buchhandel und online

KAISERS BART - (2022) Dreizehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 344 Seiten, gebunden 25, als Paperback 18, als E-Book 9,99 Euro.
Auch Kaisers Bart kommt vor in diesem Buch, zum Beispiel der des mittelalterlichen Staufers Barbarossa. Wenn wir uns indes heute „um des Kaisers Bart streiten“, dann geraten wir nicht wegen einer royalen Haupt- und Staatsaktion, sondern um einer Bagatelle willen aneinander. Dem Gewicht nach irgendwo dazwischen halten sich die Themen der dreizehn Essays auf, die alle dem weiten Feld der Kulturgeschichte entsprossen sind. Umfassend recherchiert und elegant formuliert, erzählen sie über Bücher und Bärte, Genies und Scheusale, über selbstbestimmte Frauen, wegweisende Männer und Narren in mancherlei Gestalt, über Stern- wie Schmerzensstunden der Wort- und Tonkunst. Worüber berichtet wird, scheint teils schon reichlich lang vergangen – „sooo einen Bart“ hat aber nichts davon.


Weiterhin im Buchhandel
und im Internet erhältlich


VERPESTETE BÜCHER - (2021) Elf literarische Epidemien und ein Epilog. Von Michael Thumser. Mit Buchschmuck von Stephan Klenner-Otto. Verlag Tredition, Hamburg, 172 Seiten, gebunden 16,99, als Paperback 8,99, als E-Book 2,99 Euro.
Dieses Buch ist nicht das Buch zur Krise. Freilich ist es ein Buch zur Zeit. Es will einem traditionsreichen, aber noch unbenannten Genre der Weltliteratur einen passenden Namen geben: dem Seuchenbuch. Erstmals erschienen die literaturkundlichen Essays während der Corona-Krise auf dieser Website. Vermehrt um ein Kapitel über Mary Shelleys Roman „Der letzte Mensch“, wurden sie sämtlich überarbeit. Den ausgewählten Werken der deutschsprachigen und internationalen Erzählkunst ist gemeinsam, dass in ihnen Epi- und Pandemien eine Hauptrolle spielen. So belegen die Werkporträts, dass die Furcht vor Seuchen und die Hilflosigkeit gegen ihr raumgreifendes Wüten die Geschichte der Menschheit als Konstanten durchziehen. Die greifbare Beispielhaftigkeit der vorgestellten Seuchenbücher verleiht ihnen über ihre Epochen hinaus Wirkung und Gewicht.

 

WIR SIND WIE STUNDEN - (2020) Neunzehn Essays von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 340 Seiten, gebunden 21,99, als Paperback 12,99, als E-Book 2,99 Euro.
Mehr oder weniger handeln alle hier versammelten Texte von Zeit und Geschichte, Fortschritt und Vergänglichkeit, von Werten und Werden, Sein und Bleiben, von Wandel und Vanitas. Zwischen 2010 und 2020 entstanden, wollen sie als Essays gelesen werden, folglich weniger als Beiträge zu den Fachwissenschaften, mit denen sie sich berühren, denn als schriftstellerische Versuche. Formal handelt es sich um sprachschöpferische Arbeiten eines klassischen Feuilletonisten, inhaltlich um Produkte von Zusammenschau, Kompilation und Kombination, wobei der Verfasser Ergebnisse eingehender Recherchen mit eigenen Einsichten und Hypothesen verwob, um Grundsätzliches mitzuteilen und nachvollziehbar darüber nachzudenken.


DER HUNGERTURM - (2011/2020) Dreizehn Erzählungen von Michael Thumser. Verlag Tredition, Hamburg, 288 Seiten, gebunden 19,99, als Paperback 10,99, als E-Book 2,99 Euro.
Von Paaren handeln etliche der dreizehn Geschichten in diesem Band: von solchen, die auseinandergehen, von anderen, die „trotz allem“ beieinanderbleiben, von wieder anderen, die gar nicht erst zusammenfinden. Dass die Liebe auch bitter schmecken kann, ahnen oder erfahren sie. Sich selbst und der Welt abhanden zu kommen, müssen manche der Figuren fürchten, den Kontakt zu verlieren, allein zu sein oder zu bleiben und nichts anfangen zu können, nur mit sich. Manche haben ihren Platz ziemlich weit fort von den anderen, zum Beispiel hoch über ihnen wie der namenlose Protagonist der Titelerzählung "Der Hungerturm". Irgendwann freilich werden sie aufgestört von der halb heimlichen Sehnsucht, mit jemandem zu zweit zu sein. Bei anderen genügt ein unerwarteter Zwischenfall, dass der Boden unter ihren Füßen ins Schwanken gerät und brüchig wird. Und es gibt auch welche, denen die Wirklichkeit in die Quere kommt, weil sie ein Bild von sich und Ziele haben, die nicht recht zu ihnen passen. Knapp und zielstrebig, bisweilen in filmartig geschnittenen Szenen und Dialogen berichten die zeitlosen Erzählungen davon, wie aus Unspektakulärem etwas Liebes- und Lebensbestimmendes, mitunter Tödliches erwächst.