Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)

Vorgeschmack der Apokalypse

  • Im Kino: Oppenheimer (USA, Großbritannien 2023, Regie: Christopher Nolan, 180 Minuten)


Von Michael Thumser

4. August – Dass die Atomwaffenarsenale auf Erden bisher einen Atomkrieg verhindern: Schon dies allein zeigt die ganze Widersprüchlichkeit der modernen Welt. Was gemeinhin Weltfrieden heißt, verdankt sich keiner Verbundenheit zwischen den Imperien, sondern ihrer Angst voreinander.

     Sogar begnadete Kollegen, erst recht Militärs halten den jungen Physiker Julius Robert Oppenheimer für ein Genie, das sie alle in den Schatten stellt. Er habe, wird von ihm gesagt, die Gabe, „über die Welt, in der wir leben, hinauszusehen“. Als „Vater der Atombombe“ ist er berufen, auf der (bis heute verborgenen) Brücke zwischen Albert Einsteins relativitätstheoretischer Physik und der Quantenphysik, zwischen „Spaltung“ und „Fusion“ die stärkste Kraft zu entfesseln, die den Globus je erschüttert hat. Doch er erkennt auch den Fluch, der darum auf ihm lastet: Mit Gewissheit ist er „zum Tod“ geworden und womöglich „zum Zerstörer der Welten“.

     Mit „Oppenheimer“ hat Christopher Nolan sein erstes „Biopic“ geschaffen, seine erst Filmbiografie über eine real existierende Person. Aber der britisch-amerikanische Regisseur wäre nicht einer der klügsten, originellsten und raffiniertesten Zauberer seines Metiers, hätte er sich damit zufriedengegeben, über den „amerikanischen Prometheus“, den Feuerbringer der USA, eine der landläufigen Lebens-Leistungs-Love-Storys zusammenzuschustern. Seit „Memento“ und, in der Folge, mit „Interstellar“ und „Inception“, „Dunkirk“ und „Tenet“ führte er ein ums andere Mal aufs Stupendeste vor, wie eigenwillig und zwingend plausibel er aus einem Plot eine Erzählung zu erarbeiten versteht, die ganz und gar der weltverändernden, eigene Wirklichkeiten erschaffenden Bildmacht des Kinos gehört: dem Reich der Phantasmen, der magischen Räume und sich auflösenden Zeit.

Der Quantensprung

In seinem neuen Meisterwerk wendet er sich von der – durch ihn stark mitgeprägten – Science-Fiction ab und einer wahren Geschichte der jüngeren Vergangenheit zu. Lebensklug und empathisch dokumentiert er in „Oppenheimer“, sein eigenes Drehbuch inszenierend, wie das atomare Rüsten begann, das von Anfang an ein Wettrüsten war. Denn nach der ersten Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Dezember 1938 befürchten in den Vereinigten Staaten Militär und Regierung, das Deutschland des kriegsversessenen Adolf Hitler werde den Quantensprung binnen Kurzem zur Entwicklung einer Superwaffe nutzen. Mithin geht es beim „Manhattan-Projekt“ in der aus New Mexicos Wüstensand gestampften Forscherstadt Los Alamos „darum, die starke Kraft zu entfesseln, bevor die Nazis es tun“. J. Robert Oppenheimer, US-amerikanischer Visionär der Atomtheorie mit deutschen Wurzeln, leitet eine Riege erstrangiger Experten, mit der ihm trotz äußersten Zeitdrucks der Bau der ersten Nuklearwaffe tatsächlich gelingt; dennoch nicht mehr rechtzeitig, kapituliert doch am 8. Mai 1945 das „Dritte Reich“. Trotzdem endet die Arbeit an der Megabombe nicht: Die rustikalen Vorbereitungen des „Trinity-Tests“ vom 16. Juni, die nervenzerrende Ungewissheit während der Minuten und Sekunden vor der Zündung des Sprengkörpers markieren den grandios vorbereiteten äußeren Spannungsgipfel des Films. Lange lautlos, blendend weiß breitet sich auf der Leinwand ein Vorgeschmack der Apokalypse aus.

     Bis dahin sind erst gut zwei der drei anstrengenden, indes nie Zeit schindenden Filmstunden vorüber. Was folgt, ist denn auch alles andere als bloß ein Epilog. Die US-Regierung, „den Sozialismus für gefährlicher als den Faschismus“ erklärend, richtet die neu gewonnene Zerstörungsgewalt nun gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki und beschleunigt sodann im Wettlauf mit dem Systemrivalen Sowjetunion den Bau einer tausendfach stärkeren Wasserstoffbombe. Da aber hat Oppenheimer bereits umgedacht: Weil er nicht länger dulden mag, dass „die Ergebnisse von dreihundert Jahren Physik zu einer Massenvernichtungswaffe gegen Gerechte und Ungerechte“ verkommen, wendet er sich und sein Renommee als „bekanntester Mann der Welt“ fortan gegen alle weitergehenden Forschungen und plädiert stattdessen eigensinnig dafür, den Frieden auf dem verbrennbaren Globus durch Abrüstung sicherzustellen. Das macht ihn zur internen Gefahr: Präsident Harry S. Truman will von der „Heulsuse“ nichts wissen, das FBI observiert ihn rund um die Uhr, schließlich wickelt man Oppenheimer ehrenrührig ab, mit Verweis auf seine notorisch linksliberale Einstellung und unter dem absurden Vorwurf, als Spion im Dienst Moskaus zu stehen. Der vermeintlich nur seiner Wissenschaft verpflichtete Physiker ist durchs dünne Eis der Politik gebrochen. Das Feuer, das er brachte, verzehrt ihn nun selbst.

Gefährlich schön

Durch Imaginationen kosmischer Sternenfahrten, gefährlich schöner Funkenflüge und Flammenmeere verleiht Christopher Nolan den Zuschauenden die Gabe, „über die Welt, in der wir leben, hinauszusehen“. Der funkelnde, blitzende, sprühende Geist eines Einzelnen entzündet die Völker: Nolans Oppenheimer hat „keine Waffe, sondern eine neue Welt“ geschaffen, nur ist die bisherige „nicht bereit dafür“. Einer chronologischen Vita seines Protagonisten verweigert sich der Regisseur, Hinweise auf Herkommen und Werdegang unterschlägt er so gut wie völlig. Stattdessen gräbt er sich wie ein verzweifelnder, weil bewusst scheiternder Porträtist tiefer und tiefer in Oppenheimers ebenso konsequentes wie unberechenbares, so klares wie undurchdringliches Wesen.

     Jene Janusköpfigkeit verkörpert der fragile Ire Cillian Murphy in der Titelrolle mit seinem sanften, fast fraulichen Gesicht, seiner minimalistischen Mimik und kalkuliert unterkühlten Körpersprache perfekt. Nicht vorbildhaft als patriotischer Leuchtturm und intellektuelle Lichtgestalt gleißt er; vielmehr entlarvt er die Figur als labil, von sich und der eigenen „Brillanz“ bis zur Eitelkeit eingenommen, noch in den virtuosesten Dialogen rhetorisch überlegen – menschlich ein unsicherer Kantonist, politisch ein Risikofaktor. Murphy, um den die Handlung ohne jede Nebenhandlung kreist, steht im Zentrum eines Ensembles von überhaupt außerordentlichem Rang: Matt Damon und Emily Blunt, Robert Downey Jr. und etliche weitere Koryphäen des US-Kinos verbergen ihren Starruhm und sogar ihre Physiognomien hinter komplex minutiöser Charakterkunst.

Um- und Abwege eines Superhirns

Dem Widersinn der modernen Welt und dem paradoxen Seelenhaushalt der Hauptfigur hat Nolan die gleichfalls nicht leicht durchschaubare Dramaturgie der Produktion angepasst. Auf mehreren Zeit- und scheinbar einander zuwiderlaufenden Handlungsebenen breitet er den Karriereweg des Superhirns aus, die Um- und Abwege des Lebe- und Ehemanns, den Abstieg von den dünnluftigen Höhen der öffentlichen Achtung zum potenziellen Hochverräter. Aus einem Verhör vor einem ominösen Gremium und einer Anhörung vor dem US-Senat, aus Rück- und Vorausblenden, aus Farb- und Schwarzweiß-Sequenzen sammelt sich vielteilig und -schichtig ein Ereignismosaik, das sich endlich unverhofft kohärent zum Panorama vollendet. Überholt mag das Weltbild dahinter erscheinen: Große Männer machen Geschichte. Des ungeachtet behauptet sich Oppenheimer – in Christopher Nolans nirgends vollständiger und doch in sich geschlossener Durchformung des unhaltbaren Helden – als in der historischen Wirkung nicht zu überschätzende Schlüsselfigur.

     So viel Bewunderung er auf sich zieht, so merklich reizt er zu Misstrauen und Opposition. Nicht jedoch der geniale „Zerstörer“, auch nicht der Feuerpilz des ersten Atombombenversuchs machen am meisten Angst in diesem Film; sondern eine Szene in einem Vortragssaal voller Menschen, die dem hinterm Rednerpult schmal aufragenden Physiker mit euphorisch verweinten Gesichtern wie einem Popstar zujubeln: Soeben hat er ihnen den strahlenden Erfolg des „Trinity-Tests“ bestätigt; ihre Begeisterung gilt dem von Stund an jederzeit möglichen Ende der Welt.




Die Wahrheit der ganzen Welt

  • Im Kino: Mission: Impossible – Dead Reckoning. Teil eins (USA 2023, Regie: Christopher McQuarrie, 164 Minuten).


Von Michael Thumser

21. Juli – Ursprünglich stammt der Begriff aus der Philosophie und benennt irgendwie alles und trotzdem nichts Bestimmtes: Wenn hochtrabend von „Entität“ die Rede ist, dürfen normalsterbliche Laien das Wort arg plump mit „Dingens“ übersetzen und kommen trotzdem dem Verständnis näher. Schlicht gesagt, ist eine „Entität“: etwas, das ist. Im neuen „Mission: Impossible“-Spektakel indes vereint die „Entität“ bedeutend subtilere Eigenschaften auf sich: Sie strebt danach, alles zu sein, indem sie schon fast alles weiß und noch mehr wissen will und alles und jeden beeinflusst. Im grandiosen siebten Abenteuer der Hochspannungs-Reihe – genauer gesagt: in seinem ersten, dennoch knapp dreistündigen, um keinen Augenblick zu langen Teil – baut Christopher McQuarrie als findiger Drehbuch-Hauptautor und Regisseur eine Künstliche Intelligenz als futuristischen Popanz auf, der die Ängste weit hinter sich lässt, wie manche Experten und viele normalsterbliche Laien sie heute schon hegen.

     Wer den universalen Algorithmus geschaffen hat, erfahren die Zuschauenden nicht. Längst erschafft er sich selbst: in einem neuronalen Netz, das die Fähig- und Möglichkeiten bekannter selbstlernender Systeme apokalyptisch übertrifft. Vollständig hat sich der „Parasit“  über die Welt und bis in den Weltraum ausgebreitet und greift aus dem Internet sowohl die vertraulichsten und verschwiegendsten wie die scheinbar gleichgültigsten Daten ab, egal, ob ein Smartphone oder ein abgeschirmter Geheimdienst-Server sie speichert und mit ihnen operiert. Losgelöst von jeder menschlichen Lenkung und Überwachung, mit „eigenem Willen“ begabt und sogar „empfindungsfähig“, macht sich das gefräßige „Dingens“ ungreifbar und unangreifbar daran, „die Wahrheit der ganzen Welt“ zu okkupieren; ein „Feind“, der „überall und nirgends“ lauert. Schon sind die maßgeblichen Nationen, desgleichen niederträchtige Digital-Ganoven zum „globalen Wettlauf“ gestartet, um der globusgroßen Datenkrake habhaft zu werden – und um sie im Endkampf um die letzten Ressourcen des ausgepowerten Planeten gegen Konkurrenten anzuwenden.

     Zwischen zwei der vielen sensationellen Action-Sequenzen kommen einem braven CIA-Mann kurz Zweifel, ob es denn in Ordnung sei, dass eine Weltmacht wie die Vereinigten Staaten gar so viel Superkraft besitzen soll; sein Vorgesetzter lächelt die kindlichen Bedenken nachsichtig weg. Ethan Hunt indes, der unkaputtbare Weltretter von bisher sechs, von Film zu Film sich übersteigernden „Mission: Impossible“-Krachern, fragt sich das auch. Anders als die andern will er die alles kontrollierende „Entität“ nicht unter seine Kontrolle bringen – er will sie abschalten. 61 Jahre alt ist Hauptdarsteller Tom Cruise inzwischen, agiert aber in der aufregendsten seiner etwa fünfzig Filmrollen physisch mit ungebrochener Präsenz. Harrison Ford, der in diesen Wochen zum fünften Mal als Indiana Jones ebenfalls munter über die Kinoleinwände hastet, sieht mit seinen ehrwürdigen achtzig Jahren tatsächlich alt aus gegen ihn.

Inkarnation des Chaos

Mental freilich hat Cruises Ethan Hunt – die „Inkarnation des Chaos“ im Agenten-Getriebe der internationalen Ränkeschmiederei – spürbar abgebaut: Seelisch gibt der hartnäckig jugendliche Held Müdig- und Traurigkeit zu erkennen; seit Langem „hegt er einen Groll“ gegen das Vaterland und verspürt keine Lust, für dessen „militärisch-industriellen Komplex“ die Drecksarbeit zu erledigen. Nicht mutlos, sondern wie immer tollkühn bis zur Selbstaufgabe, diesmal gleichwohl schwermütig entmutigt senkt Cruise den Kopf in den Pausen zwischen all den Bewährungsproben, in denen Hunt fürs „Menschenwohl“ Haut, Knochen und wiederholt das Leben riskiert. Geradezu hilflos wirkt der „unmögliche“ Missionschef ein paar Mal: Denn die „Entität“ weiß seinen Spitzenintellekt mittels „Phantomen“, Vorspiegelungen und Verschleierungen auszutricksen. Glücklicherweise darf er sich neuerlich auf sein „M:I“-Team verlassen: auf den hibbeligen Benji (Simon Pegg) und auf den umso gemächlicheren Luther (Ving Rhames), der durch ein, zwei Monologe von schier salomonischer Weisheit an Profil gewinnt.

     Natürlich spielen auch diesmal einflussreiche Damen mit, eine gewissenlose „weiße Witwe“ darunter. Und einmal mehr muss Ethan Hunt erleben, dass er die Frauen, die ihm was bedeuten, nicht beschützen kann – eine Lektion, die ihm der todesgeile Sadist Gabriel erteilt: Esai Morales als amoralischer „dunkler Messias“ des vollendet Bösen. Zugleich tritt mit der fintenreichen Diebin Grace (Hayley Atwell) eine neue schöne Konkurrentin dem Überhelden nah, die sein tapferes Herz erwärmt und darum selber in Gefahr gerät. Sie alle sind hinter den zwei Hälften eines Hightech-Schlüssels her, der wie ein frommer byzantinischer Artefakt anmutet und seinen Besitzer in die Lage versetzt, sich die „Entität“ unbegrenzt zu unterwerfen - oder ihr den Garaus zu machen. In einer zwischen glaubhafter Realität und undurchschaubarer Täuschung taumelnden „Welt voller Lügen“ lernt Hunt, „vierdimensionales Schach gegen einen Algorithmus“ zu spielen.

Ohne Karte und Kompass

Was nach dem sechsten Teil kaum noch denkbar schien, gelang: die Action-Schraube abermals aufs Überwältigendste anzuziehen. Dabei bewährt sich das mythische Motiv der Jagd unverzichtbar als Topos des Genres: Wie in „Indiana Jones“ geht es über die Dächer eines Zuges, im Auto allein gegen brausenden Gegenverkehr … Weil es sich so gehört, wissen Verfolgte und Verfolger, sich in unbekannten Umgebungen blitzschnell zu orientieren – auch ohne das dead reckoning des mysteriösen Filmtitels: In der Kunst des Navigierens bezeichnet der Begriff eine Technik, sich ohne sichtbare Orientierungspunkte ausschließlich durch die Beobachtung von Kompass und Kartenmaterial sowie durch die Messung der Zeit zielgemäß fortzubewegen. Weder Kompass noch Karten sind gerade zur Hand, als Hunt bei einem grandios komödiantischen, tonnenweise Auto- und Motorroller-Blech schrottenden Kesseltreiben im zitronengelben Fiat 500 (mit wahrscheinlich ebenso vielen Pferdestärken) durch Rom braust; sie fehlen auch bei der finalen Hatz auf österreichischen Schienen durch den dampfgetriebenen Orientexpress und seine nach und nach in eine Schlucht abstürzenden Luxus-Waggons.

     Da ersann der Regisseur exquisite Schockmomente, die selbst abgebrühten Genrefans den Atem stocken lassen. Kontrastierend witzig  zeigen andere Szenen, wie Hundertschaften von Bürokräften die digitalen „Wahrheiten“ sichern, indem sie die riesigen Datenmengen an einem fast vergessenen Dingens namens Schreibmaschine abtippen oder auf Magnetband überspielen – als läge das Heil der bedrohten Zukunft in der guten alten Welt des Analogen: offline.



Phönix mit Propellern

  •  Im Kino: Indiana Jones und das Rad des Schicksals. (USA 2023, Regie: James Mangold, 154 Minuten)


Von Michael Thumser

15. Juli – Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Am 14. August 1969 hat Professor Dr. Henry Jones gerade noch einmal einen Hörsaal voll Studierender mit einer Etruskologie-Vorlesung eingeschläfert, da steht schon seine Verabschiedung aus dem Hochschuldienst an. Zeit wirds: Siebzig Jahre hat der Emeritus auf dem Buckel. Als die jungen Kolleginnen und Kollegen das Glas auf ihn heben, seufzt er bescheiden: „Danke, dass Sie mich ertragen haben.“

     Vier Mal durfte man Henry „Indiana“ Jones bislang ertragen, und immer tat mans gern. Von 1981 an - stets unter Steven Spielbergs dramatischer Regie - hob Harrison Ford in der Rolle des draufgängerischen Althistorikers mit Fedora-Hut und Lederpeitsche einen „Verlorenen Schatz“ und entweihte den „Tempel des Todes“, führte den „Letzten Kreuzzug“ und eroberte das „Königreich des Kristallschädels“. Teil vier liegt fünfzehn Jahre, viele Nachahmer-Produktionen und geklonte Filmfiguren zurück. Inzwischen, sollte man meinen, „gehören die Tage der Abenteuer der Vergangenheit an“, wie während der fünften Leinwand-Weltreise des Haudegens jemand zu bedenken gibt. Doch ein Wagnis, angeblich das letzte, will der alte Herr noch wagen, weil es vielleicht das größte ist: Um am „Rad des Archimedes“ zu drehen, rafft er alle Kopf- und Körperkräfte zusammen; immerhin handelt es sich bei der Gerätschaft aus dem Altertum um ein Hilfsmittel, Raum und Zeit zu überwinden. Und natürlich stehen, wie jedes Mal, als Rivalen alte und neue Nazis bereit, für das Zauberding die „Büchse der Pandora“ zu öffnen und allerlei Böses ins Werk zu setzen.

Geheimnis aus der Wirklichkeit

Eiserne „Indy“-Fans, und nicht nur die, werden sich leicht von dem zweieinhalbstündigen, zur Hälfte komödiantischen, zur Gänze absurden Action- und Trickspektakel amüsieren lassen, das diesmal James Mangold inszenierte. Als Extra-Attraktion indes stellte das Drehbuch-Team um David Koepp ins Zentrum aller Unglaubwürdigkeiten ein surreal anmutendes Artefakt, das es wirklich gibt und das 120 Jahre lang sein Geheimnis wahrte. Im Sommer 1901 bargen Schwammtaucher vor der griechischen Ägäis-Insel Antikythera aus dem Wrack eines Frachtseglers die verklumpten Fragmente einer klobigen Apparatur. Ihre Scheiben, Zeiger und Zahnräder erwiesen sich erst Jahrzehnte später als Relikte eines über alle Erwartung ausgetüftelten Planetariums, einer für komplexeste Himmelsberechnungen ausgelegten astronomischen Uhr aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. In den Fantastereien des Kinos vermag, wer dies Wunderwerkzeug wieder zusammenfügt, sogar den Lauf der Geschichte und also die Gegenwart zu ändern.

     Also nur ein weiterer Streifen, der mit dem Faktor Zeit wüstesten Unfug treibt? Harrison Ford übertrifft mit seinem Alter sein Alter Ego um zehn Jahre, die Synchronizität von Einst und Jetzt spielt auch in seinem Gesicht und Körper mit, weitaus eindrücklicher als beim fabulösen Epochen-Hopping gegen Ende des Films. Noch in seinem achtzigsten Jahr stehen dem Schauspieler kaum mehr als zwei bis drei Gesichtsausdrücke zur Verfügung: gespannt, entspannt, verspannt. Gleichwohl darf er unter den Altstars des US-Kinos als einer der sympathischsten gelten; jetzt umso mehr: Denn das Spiel mit der Chronologie zelebriert er als selbstironisches Bekenntnis zur eigenen Betagtheit.

     Dabei hilft ihm eine Reihe von Rückblenden: Dann ist Ford mit den weitaus glatteren Zügen des Tausendsassas von vor dreißig, vierzig Jahren zu sehen. Anders indes als vor der Filmpremiere immer wieder kolportiert, verdankt sich seine Verjüngungskur keinem anti aging durch die zwielichtigen Zauberkräfte Künstlicher Intelligenz. Vielmehr stammen Fords faltenlose Züge, wie er in Interviews klarstellte, aus dem Archiv der Produktionsfirma Lucasfilm, wo sie Filmschnipseln digital entnommen wurden. Wenigstens Leinwandhelden sind unsterblich - durch Copy and paste. Das Abenteuer-Genre des Kinos ist es nicht: Spätestens in diesem Film läuft es sich, wie mit einem letzten mächtigen Aufbäumen, spannend-unterhaltsam tot.

„Die Beute gehört dem Sieger“

Als nicht verfallsbeständiger, wenngleich vitaler Greis riskiert Indiana Jones sein Forscherleben, um es zu vollenden. „Die Beute gehört dem Sieger“: Wie ein „seniler Grabräuber“ praktiziert der Teufelskerl neuerlich seine betont brachiale Spielart der Archäologie, Kunstsammlungen zertrümmernd, Fundstätten verwüstend. Zwar nicht mehr so flott wie einst, doch nach wie vor grundstürzend unaufhaltsam entgeht er Schlag auf Schlag seiner hitlerdeutschen Konkurrenten und anderen Todesgefahren beinah ohne Atempause. Von Phoebe Waller-Bridge als zwielichtig-geldgieriger, nicht minder tollkühner Patentochter Helena teils unterstützt und teils behindert, absolviert er Verfolgungsjagden zu Pferd mitten durch die Konfettiparade für die ersten Männer auf dem Mond und wenig später auf Tuk-Tuks (Autorikschas) durch das Gassengewirr von Tanger. Hartleibig und -knochig erträgt er Stürze von fahrenden Zügen oder Angriffe von wimmelnden Aalen und abertausend Tausendfüßlern und der mindestens ebenso ekligen SS-Veteranen (mit Mats Mikkelsen an ihrer der Spitze).

     Auf der Suche nach dem Grab des Archimedes ein Höhlensystem durchkletternd, stößt er auf ein Relief mit einer Bildsymbolik, die über die Filmhandlung hinausweist. Einen Phönix stellt es dar, den Vogel des Mythos, der verbrennt, um aus seiner Asche neu belebt emporzusteigen. In diesem speziellen Fall trägt das Tier zusätzlich ein Paar Propeller im Gefieder. Solch seltsamer Vogel ist Indy auch: Trotz eines Schulterschusses nebst starker Blutung schmerzunempfindlich und einfach nicht tot zu kriegen, meistert er einen Motorflug, wie keiner ihn erlebte, zu einem nie erreichten Ziel jenseits des Zeit-Kontinuums. Parallel mit dem Oldschool-Superhelden startet in den Lichtspielhäusern Tom Cruise mit einer weiteren „Mission Impossible“ durch – ein Gegenspieler wie aus der Zukunft: der futuristische action hero als High-Tech-Retter der Gegenwart. Da wird Cruise wohl „Sieger“ bleiben. Als nächste „Beute“ für Harrison Ford, sollte es doch ein sechstes Abenteuer für ihn geben, bietet sich nach Archimedes’ „Rad des Schicksals“ vielleicht das Ei des Kolumbus oder Pandoras Büchse an.



46. Internationale Grenzland-Filmtage

Irgendwo zwischen den Schnitten

Bis zum Sonntag lädt Selb wieder zu Bayerns ältestem Kinofestival ein. Dem Organisationsteam verspricht Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch: „Wir lassen euch nicht mehr los.“ Der staunenswerte Eröffnungsfilm erschafft als abgründige Satire eine ‚schöne neue Welt‘, die selbst ein Film ist.


Von Michael Thumser

Selb, 15. April – Damit hat Pavel Matala nicht rechnen können: dass man ihm in Selb einen Job anbietet. Er hat ja auch schon einen: Als zweiter Bürgermeister amtiert er in Aš, der böhmischen Partnerstadt, von wo aus er am Donnerstag herüberreiste, um den 46. Internationalen Grenzland-Filmtagen die Ehre zu erweisen und ein (sehr) kurzes Grußwort zu sprechen. Ein „ganz besonders besonderes“ Auge wirft Sophie Linnenbaum auf ihn. Als Regisseurin bestaunt sie den kolossalen Körperbau des Kommunalpolitikers mit kinematogafischem Blick und ruft ihm während der Eröffnungsfeier zu: „Sie hätten den Superman in meinem Film spielen sollen.“

     Dabei ist der Abend nicht zuletzt ein Abend der Frauen. Nicht dass Herren fehlten. Supermänner sind sie nicht, aber in der Region weithin bekannt. Philipp Spiegel vom regionalen Fernsehsender TV Oberfranken moderiert den Auftakt des Cineastentreffens auf der Bühne des Rosenthal-Theaters mit gewohnt gewandter Entspanntheit. Zwei noch (sehr) junge Gitarristen, Martin und Simon Nothaft, umrahmen ihn mit juvenil virtuosen Griffen in zwei Mal sechs Saiten. Und Oberbürgermeister Ulrich Pötzsch versichert dem „charmantesten Filmfestival auf der ganzen Welt“ und dessen Organisationsteam: „Ihr liegt uns am Herzen, und wir lassen euch auch nicht mehr los.“

     Geleitet aber wird das Team im dritten Jahr von Kerstin Fröber, die sich gebührend bei den erfreulich vielen Sponsoren bedankt, auf etliche ausgelobte Preise verweist – und von der Universität Regensburg, wo sie sich für Psychologie habilitierte, eine Kollegin mitgebracht hat: Lisa Unger-Fischer vom „Europaeum“, dem Ost-West-Zentrum der Hochschule, freut sich über die Partnerschaft mit den Grenzland-Filmtagen. „Durch die Kooperation können wir in Regensburg Filme zeigen, die dort sonst nie zu sehen wären – aus der Ukraine und Georgien, Kirgisistan, Armenien …“ So wächst das älteste bayerische Filmfest in seinem 46. Jahr zeitgemäß über sich und die Grenzen der Region hinaus.

     Vom Gegenteil handelt der Eröffnungsfilm: von Menschen, Gruppen, Kasten, zwischen denen ein ominöses „Institut“ fast unüberwindliche Demarkationen errichtet hat. Diese Welt existiert nicht, jedenfalls nicht so: Sophie Linnenbaum, schier unerschöpflich in ihrem Ideen- und Detailreichtum und mit dem bittersüßen Humor einer hochintelligenten Satirikerin, hat sie ersonnen (zusammen mit ihrem Koautor Michael Fetter Nathansky) und als eine der ungewöhnlichsten deutschen Produktionen der vergangenen Jahre inszeniert.

     Die Geschichte ins Genre „Film im Film“ einzuordnen, griffe viel zu kurz und letztlich daneben. Die ‚schöne neue Welt‘ in „The Ordinaries“ ist Film: eine „storyworld“, in der die Menschen seltsam unfrei als Geschöpfe einer gigantischen Erfindung agieren und kein Dasein führen, sondern festgelegten „storylines“ folgen. Wer ihnen die zuweist, kontrolliert und auch schon mal „zensiert“, bleibt offen: irgendeine allgewaltige, allwissende Macht, die hinter und in den gewaltigen Burgmauern des „Instituts“ residiert. Auf welches Ziel die Behörde mit der kollektiven story zusteuert, wissen auch die Spieler und Spielerinnen nicht, die sich auf drei streng reglementierte Soziotope verteilen, paradoxe Filmsets wie aus durchdigitalisierten Fünfzigerjahren.

     Prächtige Villen dürfen die „Hauptfiguren“ bewohnen, wo sie geistvoll und zungenfertig, wie in Kinomusicals singend und tanzend eine privilegierte Karriere voller dramatischer Wendungen und melodramatischer Gefühlsverwicklungen genießen. In solch heller, heiler, feiner Welt lebt sichs wie im Paradies – solange man sich hütet, „asynchron“, „rausgeschnitten“ oder „schwarz-weiß“ zu werden. Die „Nebenfiguren“, in nüchternen Wohnsilos hausend, haben anonym als Staffage und Statisterie („Liebespaar“, „Dame mit Hund“, „betrunkener Obdachloser“) die Scheinwirklichkeit zu ergänzen und müssen mit den Stereotypen „limitierter Dialoge“ auskommen. Wer sich nicht fügt oder den unerfindlichen Erfindern misslang, sieht sich dazu verdammt, als „Outtake“ zwischen den Requisitenresten eines abgewrackten Studiogeländes, wenn nicht gar in einer unterirdischen Schmuddelkneipe zu vegetieren, ohne den leisesten Anspruch auf expressive Filmmusik.

     Apartheid herrscht und wird brutal durchgesetzt. Allen Schichten ist immerhin gemein, dass niemand, weder Filmheld noch „Filmfehler“, über sich selbst bestimmen, sich unabhängig orientieren und entfalten darf. Gleichwohl sieht gesellschaftskritische Klassen-Metaphorik selten so leichtherzig pastellbunt, ideenreich grotesk aus wie in diesem Film. Wer sich durch die imaginären Spiel-Räume an Peter Weirs geniale „Truman-Show“ oder gar an die wuchtigen „Matrix“-Filme der Geschwister Wachowski erinnert fühlt, liegt nicht falsch. Und noch viel mehr „Flashbacks“ aus dem jüngeren US-Kino – und alten DEFA-Filmen – hat Sophie Linnenbaum hineingeschmolzen, mit diebischer Freude, wie es scheint.

     Von „slow motion“ bis zu gellenden „Panik“-Schreien hat Schülerin Paula (Fine Sendel) alles brav gelernt und eingeübt und steht nun, fünfzehnjährig, vor einer Art Abitur: Besteht sie die Prüfung, rückt sie aus der monadisch-monotonen Wohnwabe ihrer Mutter (Jule Böwe) zu den Hauptfiguren und in deren aufregendes Glitzerambiente auf. Allerdings gerät, vernehmlich durch schräge Töne aus dem „Herzhörer“ in ihrem Brustkorb, ihr „Emotionspotenzial“ für den toten, zum Helden verklärten Vater (sehr) durcheinander – und wirklich erfährt sie, dass der selige Papa womöglich gar nicht die „ganz besonders besondere Hauptfigur“ war, die jetzt „irgendwo zwischen den Schnitten“ weilt und von dort wie vom Himmel herab wohlwollend auf sie heruntersieht. Als ginge es um eine naive Komödie, schickt die Regisseurin ihre Protagonistin wie eine staunende Alice durch ein Wunderland der Fiktionen und all seine glanzlichten und irrlichternden, betongrauen und höhlenbraunen Sonnen- und Abseiten, Klimata und Atmosphären.

     Schwarz-Weiß in Farbe, Münder unter Pixelfeldern, Gesichter hinter verwaschener Unschärfe, überblendete Körper, springende Schnittschnipsel – lauter karikierende Visionen. Ohne die subtilen Stimmungen und überraschenden Kolorite der Szenografie, ohne die ausgetüftelten visuellen Effekte ließe sich die Geschichte nicht erzählen; und der Plot käme über einen hellen, aber kurzen Geistesblitz kaum hinaus ohne die immer neu austreibenden und sich (computer-)trickreich fortzeugenden Phantasmagorien der Bilder. Aus spektakulären Wundern komponiert, ist dieser vorzügliche Film ganz bei sich und kann nichts anderes sein als eben dies – ein Film. Der Willkürlichkeit gesellschaftlicher Inklusion oder Ausgrenzung wollte die Regisseurin nachgehen und dabei aufzeigen, wie „Narrationen unsere Welt nicht nur abbilden“, sondern überhaupt die Realität begründen: So etwa fasst Linnenbaum die Theorie hinter ihrer stupenden storyline zusammen. In der Praxis wird die storyworld alles angestrengt Verkopfte gründlich los, auch im letzten Augenblick: Da öffnet sich der Blick in den Raum „zwischen den Schnitten“, in so etwas wie den siebten Himmel, wo alle Menschen Ordinaries, gewöhnliche Menschen, sind. Nur ein (sehr) weites Ödland: Aber es ist die Freiheit.

     So folgt der Gang der Handlung, und erst recht ihr Schluss, einer Art Logik des Traums, ohne die sich eine Un-Wirklichkeit wie in diesem Film nicht denken und erschaffen lässt. Halten sich die Fantasien und Fiktionen gekonnten Kinos nicht letztlich immer „irgendwo zwischen“ den Unwirklichkeiten auf? Man müsse „nicht alles verstehen“, meint in Selb denn auch die Regisseurin und gibt damit die heimliche Devise für die 46. Grenzland-Filmtage aus: „Nicht verzagen. Weitergucken.“

■ Allgemeines zum Festival im Internet: hier lang.
■ Programmspiegel: hier lang.
■ Filmbeschreibungen: hier lang.
■ Programmheft digital: hier lang.
■ Tickets, Preisverleihungen, Partnerfestivals, Sponsoren: hier lang.
■ Seit dem 30. März läuft „The Ordinaries“ in neunzig deutschen Kinos. (Hier lang.)


Das erste Ende der Welt

  • Im Kino: „Im Westen nichts Neues“ (Deutschland 2022, Regie: Edward Berger, 148 Minuten)


Von Michael Thumser

18. März – Mit Schießprügeln in den Händen stürmen deutsche Infanteristen deckungslos auf eine französische Maschinengewehrstellung los. Hunderte Meter hetzen und stolpern, taumeln und stürzen sie über unbegrenzten, schwarzbraunen, von hundert Granatenkratern aufgebrochenen Morast den feindlichen Schützengräben entgegen, aus denen pausenlos zerfleischende Salven bellen. In Scharen fallen die Soldaten mit entzweigerissenen Leibern in den Schlamm, während Pulverdampf und Herbstmorgendunst sich durch das verspritzte, wie Aerosol zerstäubte Blut in roten Bodennebel verwandeln.

     In dieser Szene, ein paar endlose Augenblicke kurz, hat man, wenn man so will, den Film schon ganz.

     Aber „Im Westen nichts Neues“ dauert zweieinhalb schockierende Stunden. Dass im zweiten Jahr von Wladimir Putins „militärischer Sonderaktion zur Befreiung der Ukraine vom Nationalsozialismus“ ein Kriegsdrama, noch dazu eines aus der Bundesrepublik, neben drei weiteren Academy Awards vor allem den Oscar für den besten ausländischen Film gewinnen konnte, lässt sich doppelt deuten. Zum einen erweist sich, dass Deutschland, dessen Streitkräfte seit 78 Jahren kein Land mehr angegriffen haben, in der Kinowelt nach wie vor ausgerechnet für solcherart Stoffe gut scheint, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten, das nach 1945 wiederholt kämpfend ins Feld zog. Zum andern lässt sich das monumentale Epos von Regisseur Edward Berger in keinem Augenblick als Kriegs-, nur als Antikriegsfilm verstehen. Unbarmherzig zeigt es auf, wie für Scharen ohnmächtiger Menschen die Welt untergeht.

Größe und Grauenhaftigkeit

Seit der Preisverleihung am vergangenen Sonntag wird neuerlich diskutiert, was von der vierfach Oscar-prämierten Netflix-Produktion zu halten sei. Am 12. September beim Toronto International Filmfestival uraufgeführt, gelangte sie zunächst für kurze Zeit in ausgewählte Kinos, so in Berlin und Hamburg; seit dem 28. Oktober offeriert der Streamingdienst sie seiner bezahlenden Klientel online. Nun, nachdem sie als erst vierter deutscher Film den Auslandsoscar – und als erster vier der Auszeichnungen – einheimste, zeigen auch Lichtspielhäuser in der Region den Film erneut. In die gehört er auch, wegen der Endlosigkeit seiner Schrecken und der Weite, Größe und Grauenhaftigkeit der Bilder.

     Mit seiner angeblichen Vorlage hängt er nur lose zusammen. Abgesehen vom Titel sowie von ein paar Namen und episodischen Details entfernt sich das Drehbuch, das der - hauptsächlich mit Fernsehinszenierungen hervorgetretene - Regisseur zusammen mit Lesley Paterson und Ian Stokell konzipierte, kühn vom legendären Roman. Erich Maria Remarque hatte sich 1929, als 31-Jähriger, mit seinem Debüt unverhofft auf einen Spitzenplatz unter der deutschen Schriftstellerprominenz katapultiert. Während des Ersten Weltkriegs war der Journalist, mit gerade mal neunzehn, an der Westfront schwer verwundet worden; gut elf Jahre später verdankte er der literarischen Entladung eines latent angewachsenen Leidensdrucks seinen ersten und größten Triumph. Reportageartig sachlich, ausdrücklich „unpolitisch“, gleichwohl erschütternd schonungslos erzählte er über eine Gruppe von Gymnasiasten, die sich freiwillig zu den Soldaten melden; allerdings finden sie auf den Kampfplätzen keine Gelegenheit zu patriotischen Heldentaten, stattdessen erleiden sie die Traumata unvorstellbarer Gräuel und vollständiger Entmenschlichung.

Autonome Spielart der Kunst

Jenen Plot benutzte Edward Berger nicht für eine neue, aber weitgehend eigene Erzählung. Eine puristische Leserschaft, gemeinsam mit einem Teil der namentlich einheimischen Medien-Feuilletons, nimmt daran Anstoß. Ihr mag man indes entgegnen, dass das Kino mit seinen Vorlagen so souverän verfahren darf, wie engagiertes Theater es von Fall zu Fall tut. Bei beiden Spielarten der darstellenden Kunst bemisst sich die Güte ihrer Resultate ausschließlich an deren autonomem Gelungensein.

     Den Hauptteil der Handlung legte Berger in die letzten Monate vor der bedingungslosen Kapitulation des Kaiserreichs; Matthias Erzberger, als Leiter der deutschen Delegation, und der französische Marschall Ferdinand Foch (im Film der fehlbesetzte, weil viel zu jungenhaft anmutende Daniel Brühl und Thibault de Montalembert) unterzeichneten sie am 11. November 1918 in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne. Im Buch fehlt dieser Ereignisstrang. Wenig genau nimmt es der Film auch mit manchen historischen Details. Den General Friedrich etwa (Devid Striesow mit Hindenburgs glatzköpfigem Betonschädel) und seine Truppe, die der Allgewaltige eine halbe Stunde vor dem verordneten Waffenstillstand in einem letzten Gefecht verheizt, die hat es in Wahrheit nicht gegeben; eine unnötige Übersteigerung, wie der einschlägig sachverständige Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel dieser Tage zu Recht monierte.

Nicht Freund, nicht Feind

Aber mit klischeebeladenem, „Blockbuster-tauglichem Kriegskitsch“, den naseweise Rezensenten gesehen haben wollen, bekommen es die Zuschauenden wahrlich nicht zu tun. Ebenso wenig lässt sich Bergers Zerstörungs-Werk nachsagen, es bringe, wie andere Kritiker mäkelten, der deutschen Seite zu viel „Verständnis“ entgegen. Im Gegenteil: Zwischen den Kriegsparteien, zwischen Angreifer und Verteidiger zu unterscheiden, unterlässt die Dramaturgie explizit. Aufrüttelnd und abschreckend geht es ihr um die Entsetzlichkeit der Schlachten und des Schlachtens, ums nüchterne Mitleiden mit den Kindern und kleinen Leuten, die den Krieg der sogenannten Großen verblutend ausfechten.

     Gezeigt wird, wie nationale Heroenrhetorik „Deutschlands eiserne Jugend“, die „größte Generation“ des schon gescheiterten Kaiserreichs, hypnotisch aufputscht. Angstfrei und aus freien Stücken ziehen Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Schulfreunde nach Frankreich, an die schier unverrückbaren Fronten eines Stellungskriegs, der ihnen das Lachen bereits mit der ersten MG-Salve, dem ersten Granateneinschlag austreibt. Unvermittelt weicht die (arg ostentativ vorgeführte) Euphorie der Jungs dem blanken Entsetzen, das ekstatische Hurra dem heulenden Elend und der lähmenden Todesangst, der Todesqual unter Panzerketten und in Flammenwerferflammen. Rasant durchlaufen die unmündigen Krieger in den abgesoffenen Schützengräben den Abstieg in die physische und psychische Totalverhunzung. In den Blutbädern und Stahlgewittern sind sind die Leiber bald kaum mehr von dem Dreck zu unterscheiden, den sie krepierend fressen.

Frieden im Krieg

Sogar Sequenzen trügerischen Friedens mitten im Krieg, Überraschungsmomente der Zeit- und Ereignislosigkeit an lost places der Zerstörung fangen die Bilder ein; auch Kameramann James Friend sowie die Szenografen Christian M. Goldbeck und Ernestine Hipper verließen Los Angeles mit Trophäen. Dabei ergänzt sich der Rhythmus der Bilder mit jenem der Musik, für die sich Volker Bertelmanns, gleichfalls preisgekrönt,  von Arvo Pärt wie vom Gefechtslärm inspirieren ließ. Aber darf man bei einem Film wie diesem überhaupt über Schauwerte sprechen? Paradoxerweise muss man wohl: über die Poesie visualisierter Trostlosigkeit, über umwerfend fotografierte Impressionen der Stille, über Schreckenspanoramen von sehenswerter Monstrosität.

     Verstört lassen einen die zweieinhalb Weltkriegs-Stunden zurück, die in ihrer pazifistischen Qualität quälend, kinematografisch aufs Grauenvollste grandios gelungen sind. Mahnend und warnend setzt sich ein Eindruck der Beängstigung fest. Denn was der Film durchspielt in seiner fassungslos machenden Unerträglichkeit, ist aller Kriegsschuldfragen ungeachtet das Unerträgliche, das heute ganz real und nicht viel anders in der Ukraine geschieht: die Konsequenz einer Politik, die strategisch, diplomatisch und humanitär auf ganzer Linie versagt.




Der Klügere tritt nach

  • Im Kino: „Sonne und Beton“ (Deutschland 2023, Regie: David Wnendt, 119 Minuten)


Von Michael Thumser

14. März – Heute müssten die vier Jungs genau zwanzig Jahre älter sein  und irgendwie im Leben stehen oder gerade endgültig an ihm scheitern. Im Jahr 2003 spielt der Film, aber die Verhältnisse sind vielerorts seither ziemlich gleich geblieben. Zwischen sengender Sonne und dem Beton trost- und endloser Hochhäuser treiben sich Lukas und Gino, Julius und – der später dazukommende – Sanchez herum, in der Gluthitze der Gropiusstadt in Berlin-Neukölln. „Großwohnsiedlung“ heißt im metropolitanen Offizialdeutsch solch ein Viertel, was untertrieben ist: Fast vierzigtausend Menschen, die Bevölkerung einer Mittelstadt, leben hier, fokussiert auf einen sogenannten sozialen Brennpunkt eines durchweg verarmten, oft suchtkranken, arbeits- und aussichtslosen Prekariats. Hier, im gleichsam rechtsfreien Raum, stellen Deutsche ohne Migrationshintergrund die Minderheit. Auf den Höfen und Straßen, in den Familien und Schulen herrscht Gewalt, und das Sagen hat jeweils der „Hurensohn“, der sie gerade am mitleidlosesten ausübt.

     So jedenfalls erzählt darüber Felix Lobrecht, Poetry-Slammer, Comedian, Podcaster und seit 2017 auch Bestsellerautor. Selbst in Neukölln aufgewachsen, fügte er Erlebtes und authentisch Dazuerfundenes zu seinem Milieu-Panorama „Sonne und Beton“ zusammen; später verwandelte er den Roman in ein Filmskript, zusammen mit Regisseur David Wnendt, dessen coming of age-Drama unterm selben Titel seit der Weltpremiere bei der jüngsten Berlinale  jeden bürgerbraven Kinobesucher erschreckt und tief verstört. Denn weit führt es hinein ins vielfach sinnleere, immer drangvolle Dasein in den Abgründen zwischen den himmelhohen Wohnblocks und, gelegentlich, auf deren Gipfel, die Dächer mit dem Blick ins Freie, Weite. Wer hier seine Kindheit und Jugend verbringen muss, von Haus aus ungeschützt und also namentlich auf sich und seine Körperkraft, auf anpassungsfähige Instinkte, Dope und Wodka-Mische verwiesen, der lernt schnell, dass Sicherheit allein in der Gang, der Blase, unter Freunden zu finden ist.

Besser, man hält sich raus

Freilich kann man sich auch auf die nicht hundertprozentig verlassen. Als Lukas, mit seinen fünfzehn Jahren noch nicht mal halbstark und entsprechend zaghaft, von einer Truppe „Arabs“ hart verprügelt wird, laufen der sanfte Gino und Angeber Julius, statt zu helfen, erst einmal davon. Lukas soll sich „raushalten“, das predigt der um ein besseres Leben ringende Vater Matthias (Jörg Hartmann) seit jeher: „Der Klügere gibt nach.“ Doch Bruder Marco (durchtrieben aufgeputzt vom Rapper Luvre47) weiß es besser: „Der Klügere tritt nach“, korrigiert der Kleinganove im Totenkopf-T-Shirt, muss aber seinerseits aufpassen, dass er nicht ge- und zertreten wird.

     Weil die „Arabs“ von Lukas fünfhundert Euro einfordern, gehen er und seine Kumpels auf Raub aus. In ihre verkrachte, von entkräfteten Lehrern kaum noch am Laufen gehaltene Schule, durch deren Security-Schranke sie morgens nur mit Ausweis kommen, brechen sie nachts mit Hilfe geklauter Schlüssel ein und lassen einen Einkaufswagen voller nagelneuer Computer mitgehen. Ihrer Tölpelhaftigkeit zum Trotz gelingt der Coup, doch die Beute an empörten Pädagogen, Fahndern der Polizei und gierigem Gelichter vorbei loszuschlagen, erfordert unterweltliche Kontakte. Schüsse fallen, Butterflymesser blitzen mit ihren Klingen, auf einem Schädel zersplittert eine volle Schnapsflasche, und als einziger Ausweg scheint sich der selbstmörderische Sprung vom Hochhausbalkon zu öffnen.

In Kriegsgebieten

„Feuchtgebiete“ hieß 2013 Wnendts Verfilmung von Charlotte Roches modernem Ekel-Klassiker (zwei Jahre nach seinem gefeierten Debüt „Kriegerin“). In großstadtwüste Kampfgebiete führt der Regisseur nun eine Truppe unerfahrener Krieger, die wohl lieber alle etwas anderes wären. Gino (Rafael Luis Klein-Hessling) will sich und die Mama vor den Hieben des versoffenen Vaters schützen; Julius (Vincent Wiemer), mit dürftigem Verstand und umso dickerer Hose die tickende Zeitbombe im Quartett, ist auf Mädchen scharf, besonders auf eines, auf das ein Stärkerer spekuliert; Sanchez (Aaron Maldonado Morales) mit seiner witzigen Coolness verehrt seine Mutter andächtig als „Heilige“.

     Dass nichts und niemand Sanchez einzuschüchtern vermag, imponiert Lukas, dem schmächtigen, sich wegduckenden Protagonisten des Buches und des Films. Ihm verleiht der so reserviert wie präsent agierende Levy Rico Arcos eine so berührende wie irritierende Dutzend- und Doppelgesichtigkeit. Gern zwar würde Lukas lernen, wie man sich im brodelnden Kiez den „Respekt“ verschafft, den die selbstherrlichen Obermacker für sich fordern; andererseits beweist Lukas in Schulaufsätzen „auf Gymnasialniveau“ ein „ganz tolles Sprachgefühl“ und will das Abitur machen. Im diesem vielleicht entscheidenden Sommer seines Lebens zwischen später Kindheit und zwangsläufig vorzeitigem Erwachsenwerden erlebt er den „sozialen Brennpunkt“ als Vulkan. In dessen Eskalationsspirale taumelnd, gibt es kein „Raushalten“ und vielleicht kein Rauskommen mehr.

Imponiergehabe im Ghetto

Das hierzu passende „Sprachgefühl“ des Films äußert sich hämmernd im brachialaggressiven Deutsch-Rap des Soundtracks; und erst recht, hart an der Grenze zur Unverständlichkeit und auch jenseits davon, im übereilt-kurzatmig hervorgebellten Ghetto- und Gangsta-Slang. „Diggah“ und „Altah“, „Lauch“ und „Ich schwör“: Beim verbalen Imponiergehabe zerfleddern Reste von Kommunikation, Austausch und Ausgleich, in der Großkotzigkeit krasser Sprüche und floskelhafter Prahlerei spiegelt sich das Posertum der hippen Outfits, kiloschweren Halsketten, aufgeblähten Gestikluationen. So verschwinden zwischen Plattenblock und Lipschitzpark die Schnittmengen der Empathie zwischen den Kombattanten in großmäulig behaupteten Revieransprüchen und brutalen Scharmützeln. Das ist heute wohl nicht anders als vor zwanzig Jahren.

     Wenigstens im Film gehen am Schluss vier junge Leute Arm in Arm schönem Wetter entgegen. Viel Hoffnung macht die Sonne dennoch nicht. Wer sich hier, eingemauert im Beton, als „typisches Opfer“ zu erkennen gibt, geht leicht unter, da mag er ruhig der Klügere sein.



Frauen sind nichts für Feiglinge

  • Im Kino: „Caveman“, Deutschland 2023, Regie: Laura Lackmann, 100 Minuten)


Von Michael Thumser

31. Januar – So war das in der Steinzeit: Der Mann, im Tierfell, mit Dreadlocks und wildem Bart, den Speer in der wuchtigen, fellbewachsenen Hand, zog aus, um nährstoffreiche Mammuts zu erlegen, während die Frau brav in der Höhle blieb, die Blagen hütete, ins Feuer blies und sich gelegentlich aufmachte, um im Nahbereich Beeren und Kräuter einzusammeln und nach Wurzeln zu graben.

     So war das eben nicht. Seit einiger Zeit schon weiß die Forschung recht genau, wie auch Steinzeitdamen, risikobereit, durchtrainiert und waffentauglich, sich unter die Jäger ihrer Sippe mischten. Das Beispiel zeigt, dass schon mal ganze Geschichtsepochen Gefahr laufen, zum Opfer wohlfeiler Klischees zu werden. Ein weiteres ist, vermutlich seit Urmenschengedenken, das notorisch prekäre Verhältnis zwischen Männern und Frauen. In „Caveman“ macht sich Regisseurin Laura Lackmann daran, es amüsant zu parodieren und seine halbgebildeten Krawall-Multiplikatoren aus der deutschen Comedyszene à la Mario Barth gleich mit.

     Ein Comedian ist der lachhafte Held ihrer Komödie auch; einer, der in seinem Brotberuf als Autoverkäufer als Null gilt, aber als Komiker gern die Nummer eins wäre. Schlimm, dass Rob nicht mal zum „Witzeerzähler“ taugt und als idealer Gatte schon gar nicht durchgeht. Wie ein transusiger, komfortverwöhnter Caveman, Höhlenmensch, verplempert er auf der Couch die Zeit, während seine Claudia, gesuchte Physiotherapeutin einer Eishockeymannschaft, das Haushaltsgeld von draußen ins gepflegte Reihen-Eigenheim bringt. In urweltlichen Urwald-Visionen stößt ihm ein ‚echter‘ Caveman – Verkörperung aller zottigen Jäger-versus-Sammlerinnen-Stereotype – gutgelaunt Bescheid über vermeintlich oder tatsächlich zeitlose Grundmuster des Zusammenlebens in Partnerschaft und Horde.

Die Chemie der Liebe, gestört

Derart vorbereitet und in die Irre geführt, schießt Rob seinen größten Bock: Ohne Programm versucht sich der komische Vogel als Komiker auf einer Talentbühne vor wenig wohlmeinendem Publikum – ein trauriger „Witzeerzähler“, hat ihm doch unmittelbar vor seinem Debütauftritt die Gattin schnaubend den Rücken gekehrt. Am Boden zerstört, holt der Verlassene aus, den Leuten vom Gift zu erzählen, das „die Chemie der Liebe“ im verflixten siebten Jahr gestört hat, und über sich selbst und seine Geschlechtsgenossen den Stab zu brechen: Allesamt, bekennt er schließlich, seien sie bornierte „Vollidioten“ und müssten, ständen die Frauen ihnen nicht mit weitherziger Geduld und weitsichtiger Klugheit zur Seite, verhungern und vergehen.

     Als burleske Szenen einer gutbürgerlichen, schlecht ausbalancierten Ehe schreibt Laura Lackmanns „Caveman“ den gleichnamigen, gut dreißigjährigen internationalen Bühnenhit des US-Witzbolds Rob Becker um und weiter. Bei einem platten Star-Vehikel hätte es die Regisseurin belassen können, denn eine Schar einheimischer Berühmtheiten aus Film und Fernsehen bietet sie auf: Moritz Bleibtreu als knuffigen Rob mit wenig Lust, erwachsen zu werden; die Hofer Filmpreisträgerin Laura Tonke als blondierte Claudia, gehüllt in eine Duftwolke luxuriöser, gleichwohl langmütiger Mondänität; Wotan Wilke Möhring als flippigen App-Programmierer, ganze Arsenale von Machosprüchen herunterschnoddernd; Martina Hill als ganzkörpergetapte Besserwisserin mit Lebenshilfesprech …

In aller Einfalt

Für spaßig flotte Schauspielerei garantiert solch verlässliche Riege von Routiniers: Lustvoll lassen sie sich die oft funkelnd formulierten, treffsicher pointierten Texte und deren unwiderlegliche Erkenntnisse („Eine Erektion ist kein Wachstum der Persönlichkeit“) auf spitzen Zungen zergehen. Dabei eint sie die Einsicht, dass Partnerinnen von ihren Partnern außer Respekt und Verehrung ein Quantum Grundfurcht verlangen dürfen: „Frauen sind nichts für Feiglinge.“

     Ein auch visuell trick- und wendungsreiches, mehr leicht- als tiefsinniges, aber ganz und gar nicht dämliches Vergnügen; mit reichlich Ironie formuliert es fast so etwas wie eine feministische Position aus der Sicht eines vernagelten Mackers in all seiner Einfalt. Leider mag es Rob sich nicht verkneifen, die Moral von der Geschicht – als jeder Zuschauer und erst recht alle Zuschauerinnen sie längst begriffen haben – zum peinlichen Ende noch bußfertig herzuplappern. Doch auch dies gehört wohl seit steinzeitlichen Höhlentagen zur Dussligkeit der Vollidioten: mit dem letzten Wort noch was zu sagen, das alles kaputtzumachen droht, wo doch vorher (fast) alles (ziemlich) gut war.



Der Geist in der Flasche

  • Im Kino: „Operation Fortune“, (USA 2022, Regie: Guy Ritchie, 114 Minuten)


Von Michael Thumser

14. Januar – Mit zwei Begriffen operiert dieser Film, mit einem englischen, den wohl jeder Zuschauende leicht übersetzt, und einem französischen, der weniger geläufig sein dürfte. „Operation Fortune: Ruse de Guerre“ heißt Guy Ritchies neuer Film im Original, wobei die erste Hälfte des Titels auf seine Hauptfigur verweist, auf Orson Fortune. Sein Nachname bedeutet vorderhand Lebensglück, aber auch Reichtum; und überdies Dusel, also sowohl das Glück des Gelingens als auch das Schwein, das einer gerade nochmal hat, kurz bevor seine Operation schiefgeht.

     All das trifft auf Orson Fortune zu, den Jason Statham gewohnt hart, smart und cool und mit der unbedingten Bereitschaft spielt, fast jeden außer sich selbst zu opfern. Gut schaut Orson aus, stabil wie ein Baum ist er gebaut und gerissen wie ein Fuchs. Als „freischaffender Spezialagent“ verdient er Einsatz für Einsatz ein Vermögen und kehrt von jedem, so mörderisch er auch verlief, unbeschädigt zurück. Sehr schätzt ihn darum der britische Geheimdienst MI6 und kommt, wenn auch zähneknirschend, für alle seine Luxuswünsche auf. Diesmal beauftragt er ihn, einen internationalen Verbrecherdeal zu vereiteln, dummerweise ohne zunächst auch nur zu ahnen, welcherart „Geist in der Flasche“ da verhökert werden soll. Als Vermittler des die Weltgeldwirtschaft tödlich gefährdenden Geheimgeschäfts agiert Greg Simmonds, der Orsons Vermögensverhältnisse um ein Vielfaches toppt und eigentlich keine noch so hohe Ganovenprovision mehr nötig hätte. Viel mehr interessiert sich der Multimilliardär für Promis, die er, um sich mit ihnen zu brüsten, seiner Corona einverleibt. Als Orson ihm bei einer Glamourparty heuchlerisch den Actionfilmhelden Danny Francesco (Josh Hartnett) vorstellt, reagiert Simmonds erwartungsgemäß gierig: So mutiert der Hollywoodstar zum Trojanischen Pferd.

Computermaus und Schützenkönig

Das meint der zweite, französische Begriff, mit dem der Streifen hausieren gehen: ruse de guerre – die Kriegslist. Die muss Orson obendrein auf einen unliebsamen Agentenkollegen ausdehnen, der ihm mit eigensüchtigen Absichten immer brutaler in die Quere kommt. Derart an zwei Fronten operierend, kann er sich, zum Glück, auf die perfektionistische Unterstützung durch eine unanständig sinnliche Computermaus und einen hundertprozentig treffsicheren Schützenkönig (Aubrey Plaza, Bugzy Malone) verlassen.

     Kämpfe unter Supermännern: Natürlich bewährt sich Jason Statham bei allerlei Prügeleien und Metzeleien einmal mehr unbezwinglich als tiefenentspannter Haudrauf. Nicht minder vitale Duelle aber werden mit Worten ausgetragen: Das Drehbuch hielt zynisch zugespitzte bis geschliffene, gelegentlich gepfefferte Dialoge für alle Beteiligten bereit, namentlich – und very british – für Orson und seinen Gegenspieler Simmonds. Zwar verfolgt der seine Interessen mit einem Einsatz an Material, Mitteln und Methoden, wie er einem Schurken der „007“-Reihe würdig wäre. Doch Regisseur Richie nutzt die Figur in seinem schick, wenn auch weitgehend konventionell inszenierten Thriller-Lustspiel für eine ruse de guerre der dramaturgischen Art: Diesem Bösewicht in Gestalt des grandios gealterten Hugh Grant will man nicht böse sein; kaum verbirgt sein Gesicht unter einer Bronzemaske aus Schminke und Puder die Falten charakterbildender Lebenserfahrung. Kupferfarben schimmert von Grants lächelnden Zügen der eloquente Charme eines charismatischen Schmierlappens.

     Er kann gar nicht anders als herzig sein. Für den Teufelspart des Widersachers im nächsten „007“-Abenteuer empfiehlt er sich mit dieser Gabe freilich nicht. Indes – Bond, James Bond ist tot, es lebe James Bond: vielleicht mit Statham, Jason Statham als künftigem Weltenretter mit der „Lizenz zum Töten“? Dank seiner Fortune dürfte er jedweden Geist, der die Menschheit bedroht, in der Flasche bannen, in die er gehört.


Zittern, vor Angst, vor Wut

  • Im Kino: „She said“, (USA 2022, Regie: Maria Schrader, 129 Minuten)


Von Michael Thumser

10. Januar – Das Beste an diesem guten Film ist, dass das Schlimmste nicht zu sehen ist. An die hundert Frauen, mindestens, hat Harvey Weinstein aufs Selbstherrlichste und Demütigendste manipuliert, gemobbt, bedrängt, begrapscht, vergewaltigt. Nichts davon zeigt Maria Schrader in „She said“ und tut gut daran, über die Opfer den Mantel der Schonung zu decken, der nicht der Mantel des Schweigens ist.

     Für seine horrenden Verbrechen sitzt der einstige Hollywood-Mogul, endlich, im Gefängnis, für 23 Jahre, mindestens; denn weitere Prozesse gegen ihn stehen an. Und er ist kein Einzelfall. Seit eh und je „systemisch“ sei der Sexismus in der Filmbranche der Vereinigten Staaten wie auch in anderen Ländern, eine geschlossene „Lieferkette“ versorge prominente, wenn nicht schier allmächtige Gewalttäter der Branche meist straflos mit immer neuen jungen Frauen – und Männern –, deren Erniedrigung sich durch das „Opfer-Shaming“, das kaltlächelnde Triumphgeheul der präpotenten Täter, sich erst eigentlich vollende: Entsetzlich und abstoßend breitet sich die schmierige Wirklichkeit, die sich hinter den Filmset-Kulissen verbirgt, vor den Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor aus. Wie aber sollen sie Belege sammeln, wie hieb- und stichfeste Beweise liefern für die menschenverachtenden Gräueltaten eines tyrannischen Serienschänders, der zu den unantastbaren Potentaten eines milliardenschweren Unterhaltungsindustriekomplexes zählt. Denn die Opfer schweigen, gebrochen und traumatisiert, „zitternd vor Wut“, aber auch „vor Angst“.

Ein Scheusal, außer Gefecht gesetzt

Ohne Triumphgeheul, aber mit gerechter Genugtuung setzten die Investigativ-Reporterinnen der New York Times das Scheusal außer Gefecht. Schrader und ihre Aktricen vollziehen nach, wie das gelang: dank geduldiger wie mutiger Recherchen, dank reichlich Empathie und detektivischer Klugheit, dank der robusten Rückendeckung der Redaktion und eines den Skandal offenbarenden, Namen nennenden Artikels vom 5. Oktober 2017. Von all dem erzählt die deutsche Schauspielerin und Regisseurin mit Tugenden, die denen der Hauptfiguren ähnlich sehen. Die Inszenierung nimmt sich Zeit (und fordert auch von den Zuschauenden einen einigermaßen langen Atem). Nirgends blendet sie mit dem Schick und Glamour, den New York als Schauplatz nun mal wohlfeil bietet. Nichts fügte sie ein, was geeignet wäre, latenten Voyeurismus oder schlummernde Sensationsgier auch nur für Augenblicke zu wecken. Akribisch stellt sie vielmehr nach, was wie und wo geschah, bis hin zu den Hotelfluren (wenngleich nicht zu den Hotelzimmern), zu den nachgebauten Wohnungen der Reporterinnen, den Kopien ihrer Eheringe. Glänzend zwar sind die Protagonistinnen besetzt, aber nicht mit Hochglanz-Beautés, sondern mit kraftvoll-natürlich agierenden Schauspielerinnen: der Amerikanerin Zoe Kazan und ihrer englischen Kollegin Carey Mulligan. Auch diese Wahl gehört zum Besten an diesem wirklich guten Film.

    Selbstverständlich bezog sich die britische Autorin Rebecca Lenkiewicz mit ihrem im besten Sinn sachlichen Skript eng auf das Buch, dass die Investigatorinnen zwei Jahre nach Weinsteins Demaskierung veröffentlicht haben und das „She said“ heißt, so wie jetzt Maria Schraders Film. Aber sie bezog in die dort dokumentierte Geschichte der Ermittlung auch das Private ein: Als Ehefrauen und Mütter sind Kantor und Twohey kennenzulernen, freilich ohne anbiedernde Werbung um Sympathie und ohne Feier der angeblich heilen US-Familie; auch ohne strahlendes Superheldinnentum. Beider Vorzüge sind Ehrlich- und Geradlinigkeit, Klarheit und ein Fleiß, der es allerdings mit sich bringt, dass sie während ihrer Nachforschungen keine „Zeit für normale Menschen“ mehr finden. Zu besonderen Menschen werden durch ihr Interesse und Verständnis die Frauen, die sich „jung und verängstigt“ dem hybriden Hollywood- und selbst ernannten Sexgott „unterwerfen“, ihm „uneingeschränkt zur Verfügung stehen“ sollten – und es, eingeschüchtert in ihrer Heillosigkeit, in allzu vielen Fällen taten; wollten sie doch nicht riskieren, sich im Handumdrehen und ein für alle Mal kraft seines Befehls aus allem ausgestoßen zu sehen, was irgendwie mit Film zu tun hat.

Startpunkt für metoo

Was Maria Schraders Film nicht erzählt und ruhig verschweigen darf: wies weiterging – mit Harvey Weinstein (abwärts) und der von Kantor und Twohey ausgelösten Me-too-Bewegung (aufwärts). Unerwähnt bleibt desgleichen der Pulitzerpreis, der 2018 beider Wühlarbeit angemessen krönte. Ihn durften 1973 auch Bob Woodward und Carl Bernstein entgegennehmen, nachdem sie durch Artikel in der Washington Post den Watergate-Skandal aufgedeckt und US-Präsident Richard Nixon als Hauptverantwortlichen entlarvt hatten. An Alan J. Pakulas mitreißende Verfilmung ihrer Enthüllungsgeschichte von 1976 erinnert Maria Schraders Film gewiss nicht zufällig, schon durch die verwirrende Vielzahl umherfliegender Namen, erst recht durch die besondere, nie stockende Spannung, die sich hier wie dort nicht reißerischem Thrill, sondern umweglosen Dialogen und der kriminalistisch tiefbohrenden Ausdauer der Presseleute verdankt. Den New Yorkerinnen kommt wie ihren Kollegen aus der Hauptstadt das Verdienst zu, der Wut vor der Angst den Vorzug gegeben zu haben, aber nicht zornzitternd, sondern mit buchhalterischer Hartnäckigkeit, schließlich mit den Belegen und Beweisen für eine nicht tolerierbare Schuld am Ende ihrer Bilanz.



Niemand ist wie alle

  • Im Kino: „Oskars Kleid“, (Deutschland 2020/22, Regie: Hüseyin Tabak, 102 Minuten)


Von Michael Thumser

24. Dezember – Die Hauptdarstellerin heißt Laurì und tritt zum ersten Mal in einem Kinofilm auf. Wahrscheinlich deshalb gibt es so gut wie keine Informationen über ihr richtiges Leben. Gut möglich, dass Laurì ein Trans-Mädchen ist, nur eben fälschlicherweise als Junge zur Welt gekommen. Der Name – Künstlername? – könnte ein Indiz dafür sein: Das Online-Lexikon Wikipedia führt das Stichwort Lauri als „finnischen und estnischen männlichen Vornamen“, der „selten, insbesondere in den USA, auch als weiblicher Vorname auftritt“. Ein Name für einen Menschen zwischen den Geschlechtern.

     Ein Film zwischen den Geschlechtern: In „Oskars Kleid“ spielt Laurì mit radikaler Reserve ein Kind in der Zwickmühle. Es gelangt zu dem Schluss, dass es, im Körper eines Jungen, als Mädchen zur Welt kam. Gerade mal neunjährig, entscheidet es frei, nicht länger Oskar, sondern Lili zu heißen; und nicht nur zu heißen: sondern Lili zu sein. „Oskars“ Kleid steht Lili prima. In einer für den Kinobesucher überraschend einverständigen Umgebung bewahrt sie sich ihre selbstbestimmte Identität – bis sie am Unverständnis des Vaters umso härter anstößt.

„Nur das Beste“

Ben, geschiedener Polizist mit Alkoholproblem, verzehrt sich nach seiner Ex Mira, den Kindern und überhaupt nach der verlorenen Reihenhausfamilie. Florian David Fitz, der auch das vielschichtige Drehbuch schrieb, spielt ihn als schwankendes Rohr im Wind, in der Gefahr, als Loser in Larmoyanz zu versinken. Kein Zweifel, Ben will „nur das Beste“ für den Sohn, der „gestern noch Feuerwehrmann werden“ wollte, ihm nun aber als Tochter entgegentritt, mit fein-weichen Gesichtszügen und schulterlangem Haar, mit lackierten Nägeln und im sommergelben Kleidchen. Ben, der Straßenschlachten mit Steine werfenden Demonstranten und verregnete Räumungsaktionen gegen Umweltaktivisten klaglos durchsteht, ist nicht gewohnt, sich zwischenmenschliche Gedanken zu machen. Nun soll er lernen, etwas hinzunehmen, das er nicht versteht. Es gelingt ihm, wenn auch nicht leicht. Am Ende bekennt er sich ehrlichen Herzens zur Besonderheit jedes Einzelnen: „Niemand ist wie alle.“

     Von den jüngeren deutschen Komödien hebt sich diese wohltuend ab, weil sie, amüsant ersonnener Zwischenfälle ungeachtet, keine Komödie ist, schon gar keine mit Gag-Gepolter und Pointen-Potpourri. Im Gegenteil, so brenzlig geht es in ihr zu, dass die immer bedrängtere Lili sich irgendwann davonstiehlt: nicht um wegzulaufen, sondern um zu „verschwinden“. Untrennbar verbindet Hüseyin Tabaks umstandslose Inszenierung die Entwicklungslinien von Vater und Tochter in einer Geschichte, die diskret und vielschichtig erzählend beide Figuren gleichermaßen ernst nimmt.

„Auch Gott macht Fehler“

„Das Problem“, muss sich Ben von einem Psychologen sagen lassen, „sind immer die Eltern.“ Wirklich bläht sich Ben kurz als homophober Macho auf. Doch bald und immer deutlicher lässt Fitz Unsicherheit und Geborgenheitsverlust, Verletzlichkeit und nicht verheilte Verletzungen des konsternierten Kotzbrockens spüren. Lili will von ihm geliebt werden, wie sie als Oskar geliebt wurde. Dabei vermeidet Laurì jede siebengescheite Attitüde und großspurige Belehrung; wenn sie Lilis umstrittene Rolle entfaltet und aufrechterhält, so nicht präpubertär altklug, sondern vor der Zeit gereift. Sie wägt ihre Worte; sie spricht nicht viel, freilich ohne verschlossen zu sein. Was sie, gerade wortlos, am stärksten bekundet, ist ein imponierender Mut.

     Dass es immer schwierig sei, „etwas Besonderes“ zu sein, wird einmal gesagt. Beiläufig macht sich ein Umstand geltend, der Ben seinerseits, seine aufgeschlossene Mutter und den bornierten Vater (Senta Berger, Burghart Klaußner) von den meisten ihrer Nebenmenschen unterscheidet: Sie sind jüdisch. In der Synagoge sucht Lili zwar nicht beim Allmächtigen, aber bei einem weisen Rabbi Rat: „Auch Gott macht Fehler“, erfährt sie von ihm, „und er macht sie absichtlich.“ Um nicht von „Fehlern“ zu sprechen, lässt sich von Mutationen sprechen: Dass sich dem bislang Üblichen und Gewohnten etwas Anderes, Verändertes quer in den Weg stellt und sich behauptet – das ist in der Biologie der Motor der Evolution; der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts ist es genauso. Niemand ist wie alle. Jeder ist anders. Alle sind einzig.



Kein Kaffee, keine Kinder

  • Im Kino: „Einfach mal was Schönes“ (Deutschland 2022, Regie: Karoline Herfurth, 116 Minuten)


Von Michael Thumser

29. November – Karla im Pech: Sie kriegt einfach nicht, was sie sich wünscht. Dem von ihr moderierten Nachtradio hört kaum jemand zu, mit der Familienplanung – Hauptsache Nachwuchs, egal ob mit Partner oder ohne – will es nicht klappen, und sogar der Getränkeautomat verweigert ihr den Dienst: „Kein Kaffee, keine Kinder.“ Karla ist 38 und ahnt, dass die biologische Uhr kaum noch lauter ticken kann. Entsprechend verbissen fällt ihre Fahndung nach dem Mann fürs Leben oder den nächsten Lebensabschnitt aus: Einen „Harald mit Analproblem“ hat sie ausprobiert, einen „Querdenker“ sogar, und das erste, durchaus lustvolle Date mit einem schlammverkrusteten Extremhindernisläufer endet schlagartig, als mal eben seine Gattin anruft. Also „zu spät für Romantik“? Muss es die ganz große Liebe sein? Schon eine kleine würde vielleicht reichen.

     „Karla, gib alles!“, hat der survival runner an der Kletterwand ihr zugerufen – und damit, ohne es zu wissen und zu wollen, den dissonanten Grundton ihres Lebens angeschlagen. Karla ist für andere da und bleibt an Bord, auch wenn die anderen das sinkende Familienschiff verlassen. Tapfer erträgt sie den Dauersuff der geschiedenen Mama, hartnäckig versucht sie, zwischen ihren Schwestern zu vermitteln, der dauerdeprimierten Jule, einer verbitterten Ehefrau und Dreifachmutter, und der dauertränenseligen Johanna, einer IT-Expertin, die hohl wie ein It-Girl scheint. Karla gibt alles und kommt selbst zu kurz.

     Mithin hat „Einfach mal was Schönes“ das Zeug zur Tragikomödie. Gut so. Zwanghafte Aufgeschrecktheit, gesuchte Skurrilität, märchenhafte Final-Überzuckerung, von denen deutsche Durchschnittsklamotten im Gefolge US-amerikanischer Romantik-Komödien meistens aus der Kurve getragen werden – sie hat Karoline Herfurth ihrem Film erspart oder als ironisches Zitat und spöttische Zutat untergeschoben. Ihr zweiter Film in diesem Jahr: Anfang Februar – wenngleich gut zwei Jahre zuvor abgedreht – kam höchst erfolgreich das Ensemble- und Episodenstück „Wunderschön“ heraus (siehe ho-f/Film und Fernsehen 2022/8. März). Frauen, die ihr Leben erst eigentlich gewinnen, indem sie es selbstbestimmt bestreiten, hat die Künstlerin als ihr Thema ausgewählt, wofür sie erprobten Gestaltungsmustern treu bleibt. Auch für „Einfach mal was Schönes“ versammelte die Regisseurin, die zugleich als Hauptdarstellerin agiert, eine differenziert aufspielende Damenriege um sich.

Schöne Schreckschraube

Wieder schildert sie Frauen an unterschiedlichen sozialen Orten, in divergenten Gemütslagen, aus verschiedenen Altersklassen. Die Rolle der attraktiven, doch durch Alterung herabgestimmten Mutter, die in „Wunderschön“ Martina Gedeck oblag, hat jetzt Ulrike Kriener, nicht minder grandios als morsches Fundament einer explosiven Familienaufstellung: eine schöne, mithilfe von reichlich Kosmetik und Alkohol wohlkonservierte Schreckschraube, die sich durch Selbstmitleid und Unselbstständigkeit als arme Wurst offenbart – ein Klotz an Karlas Bein.

     Die anderen Klötze, ihre Schwestern, machen durch Nora Tschirners famose Freudlosigkeit und Milena Tscharntkes hyperventilierende Hysterie je eigene, lähmende Gewichte geltend: Inmitten einer solchen Sippschaft, „in der alles eskaliert“, droht Karla, die zunehmend Ratlose, vollends bewegungslos zu werden. Immerhin quert Krankenpfleger Ole ihren Weg: Aaron Altaras, der leider die Hälfte seines Texts vernuschelt, lässt sympathisch eine verhaltene Verliebtheit aufblühen. Vielleicht hilft er ihr auf die Sprünge: aus dem Teufelskreis heraus. Wäre er nur nicht zehn Jahre jünger als sie …

Den richtigen Knopf drücken

Auch das Prinzip des Episodischen, das in „Wunderschön“ die Form bestimmte, übernahm Karoline Herfurth in die neue Produktion, die indes, statt neuerlich mehreren parallelen Erzählsträngen, nun einem einheitlichen roten Faden folgt. Dass der in den ersten fünfzig Minuten durch Unschlüssigkeiten und Redundanzen in der Dramaturgie durchhängt, verhinderte die Regisseurin nicht. Was freilich wiederum dem Wesen ihrer Figur entspricht: Verächtlich wird Karla von den anderen bezichtigt, sie kriege ihr Leben „nicht auf die Kette“. Dabei sorgt gerade sie dafür, eine blutreiche Fehlgeburt der seitenspringenden Johanna zu verheimlichen, und opfert überhaupt jede Menge Mühen, damit die Bindung zu den anderen und zwischen ihnen nicht zerreißt.

     Das stärkste Glied der Kette ist sie selbst. Da kann sie sich, in einem Augenblick der Schwäche, von einem sanften Mann wie Ole schon mal helfen lassen: Am Automaten weiß er für sie den rechten Knopf zu drücken, damit der Kaffee fließt.



56. Internationale Hofer Filmtage
Anfänge, die am Ende stehen
„Der Zeuge“ (Deutschland 2021, Regie: Bernd Michael Lade, 93 Minuten)


Von Michael Thumser

30. Oktober – Bernd Michael Lade nimmt sich Zeit, und an Ehrgeiz mangelts ihm nicht. Seit fast vierzig Jahren zieht sich das ‚Werkverzeichnis‘ des bekannten Schauspielers immer unüberschaubarer in die Länge. Zwischendurch führte er selbst Regie, wenn auch nur drei Mal, immer mit etlichen Jahren Abstand und jedes Mal mit einer explizit unkonventionellen Art, eine Geschichte zu erzählen.

     So eigenwillig will der Regisseur Lade sein, dass nicht leicht herauszufinden ist, was er in seinen Filmen will. In „Null Uhr 12“, seiner zweiten Eigenarbeit – mit der er 2001 beim Hofer Festival debütierte –, ließ er überbetont im Unklaren, ob der Anfang des Films in Wahrheit nicht das Ende der Geschichte ist; oder umgekehrt der Abschluss ein Beginn; oder beides zusammen der Mittelpunkt in einem Labyrinth. Vierzehn Jahre später dachte er sich mit „Das Geständnis“ in die Gemüter von Mordermittlern im letzten Jahr der DDR hinein, wo es Kriminalität offiziell nicht gab – neuerlich eine ausgefallene Idee, deren vorderhand originelle Umsetzung zunehmend unter der Last bemühter erzählerischer und visueller Vertracktheiten litt. Nicht, dass Lade, der gewiefte Darsteller und Hauptakteur auch seiner eigenen Filme, als Regisseur nichts könnte; nur will er zu viel, was das auch sei.

     Auch Carl Schrade, den Zeugen in „Der Zeuge“, spielt der 57-Jährige selbst. Für die Anklage eines von US-amerikanischen Militärjuristen anberaumten Kriegsverbrecherprozesses sagt er Ungeheuerliches aus, das er als Insasse mehrerer KZ in Hitlerdeutschland binnen elf Haftjahren qualvoll erlitten und nur mit knapper Not überlebt hat. Statt in der einschüchternden Erhabenheit eines Gerichtssaals platziert Lade die Verhandlung zwischen den schrundigen Mauern eines schäbigen Kellers oder einer abgenutzten Werkhalle. Dort nehmen die stummen Uniformierten auf der Richterbank die Schreckensberichte Schrades stählern-unbewegten Blickes entgegen, während eine Dolmetscherin unter den aufgezählten Entsetzlichkeiten, die sie zu übersetzen hat, weinend zusammenbricht.

     Als „endloses Labyrinth“ schildert Schrade mit beherrschter Bitterkeit den „Tanz der Folter“, die Prügelexzesse und Torturen, bei denen die Gestapo- und SS-Wachleute ihren geilen Sadismus befriedigten, auch die „vielen kleinen Mördereien“, die sich die Schergen als Verdienste auf dem Konto ihrer Soldatenehre gutschrieben. Die Angeklagten identifiziert der Zeuge ohne zu zögern, indem er sie bei den Nummern nennt, die sie statt Namen tragen. Hingegen versuchen die Beschuldigten, sich als angeblich Unbeteiligte heraus- oder ihre Rollen im Terrorsystem kleinzureden. Bei manchem blitzt noch der alte Stolz auf, einer „Herrenrasse“ anzugehören, und einer rühmt unbelehrt das Grundkonzept des Konzentrationslagers, wo Gepeinigte „wie Tiere arbeiten“, ohne nennenswerte Kosten zu verursachen – betriebswirtschaftlich ein grandioses Geschäftsmodell.

     Wie ein Stück objektiven Dokumentartheaters, stilisiert bis zur Nüchternheit, legt Lades Kammerspiel im Keller schrecklichste Details der Naziherrschaft dar. Hierfür das Muster schuf die „Ermittlung“, das singuläre „Oratorium in elf Gesängen“, in dem der Dramatiker Peter Weiss 1965 die kaum erträgliche Quintessenz aus dem ersten Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main destillierte: ein Bühnentext, der den Leser, die Hörerin nicht einen peinigenden Moment lang aus der Aufmerksamkeit entlässt. Anders bei Lade: Jede Mitteilung Carl Schrades ebenso wie die absurden Schutzbehauptungen, Verharmlosungen und Bekenntnisse der Delinquenten werden sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch vorgetragen. Mag sein, der Regisseur wollte so dem forensischen Rahmen einen stärkeren Anschein von Authentizität verleihen. Als dramaturgischer Grundzug erweist die Manier indes schnell ihre Untauglichkeit: Fortwährend stockend und gehemmt, bleibt das Geschehen in seiner Grundidee stecken und lähmt sich bis zum Überdruss des Betrachtenden selbst, als sollte der Film durch solche Langsamkeit und Gravität so recht zu tieferer Bedeutung finden.

     Wahr und schlimm genug ist die Geschichte auch ohne den zweifelhaften Kniff: als wahre Geschichte. Von Carl Schrade selbst stammt die Vorlage „Elf Jahre“, in der sich der 1896 geborene, 1974 gestorbene Zürcher Kaufmann und Handelsvertreter seine nicht zu bewältigenden Erlebnisse von der traumatisierten Seele schrieb. Nicht über einen Helden ist in dem Erinnerungsbuch zu lesen, vielmehr über einen vorbestraften Dieb und knasterfahrenen Kleinkriminellen, den die Unrechtsjustiz als „Berufsverbrecher“ brandmarkte und, abgeurteilt und im Lager weggesperrt, dem Tod preisgab. Freilich war der Umstand, dass Schrade nicht als unschuldiges Opfer, sondern als Ganove einsaß, beileibe kein Grund, ihm in vier KZ  jedes Bürger-, Menschen- und Lebensrecht abzuerkennen.

     Jene biografischen Hintergründe deutet Lade erst in den letzten Minuten seines Films an. Der könnte von hier aus neues, ein erweitertes Interesse wecken, gewinnt doch der Zeuge nun, über seine Gegenwart als funktionierende Informationsquelle hinaus, plötzlich eine persönliche Vergangenheit hinzu, die farbige Geschichte eines Menschen mit seinen Fehlern und in seiner Fehlbarkeit. Doch Lade macht hier Schluss. Dabei wäre, wo der Film abrupt endet, erst eigentlich ein Anfang.

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56. Internationale Hofer Filmtage
Die Stille nach dem Schuss
„Generation Tochter“ (Deutschland 2022, Regie: Marielle Sjømo Samstad, 106 Minuten)


Von Michael Thumser

29. Oktober – Der Film damals hieß „Die innere Sicherheit“. Gedreht hatte ihn Christian Petzold, der ihn im Jahr 2000 zum 34. Festival mitbrachte und sechs Jahre später den Filmpreis der Stadt Hof erhielt. Erzählt wird darin die ungewöhnliche Geschichte eines Paares ehemaliger Linksterroristen, das vor fünfzehn Jahren eine Tochter bekam und sich mit ihr seither im Untergrund durchschlägt.

     Der neue Film heißt „Generation Tochter“, so wie das Kollektiv, das ihn produzierte. Dessen meist weibliche Mitglieder waren noch Kinder, als „Die innere Sicherheit“ ins Kino kam. Dass in dem Thriller der Frauen „Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig“ seien, versichern sie im Vorspann. Sind es die Ähnlichkeiten mit Petzolds Drama auch? Die lassen sich zwar nicht ignorieren, doch fallen auch die Unterschiede auf. Und „eine schöne und spannende Geschichte“, die Marielle Sjømo Samstad in einem Interview ankündigte, ist ihr Langfilm-Debüt auf jeden Fall.

     Eine explizit feministische Geschichte, bekräftigt die dazugehörige Website: Weil Frauen hinter wie vor der Kamera auch hierzulande „strukturell unterrepräsentiert“ seien, käme in diesem Film „auf vier starke, komplexe weibliche Hauptrollen ein männlicher Protagonist“. Und auch der spielt, sei hinzugefügt, über weite Strecken nur unsichtbar mit: als Schreckgestalt in den panischen Köpfen der Frauen.

     Während vieler gehetzter Jahre auf der Flucht ist der einstigen RAF-Terroristin Dagmar ihre Gesundheit abhandengekommen, nicht jedoch ihr Hass auf das „faschistische System“. Auch an ihrer rauen, doppelten Liebe hält sie unbeirrt fest. Die eine gehört Samira, die Dagmars Überzeugungen längst nicht mehr teilt, wenn sie auch weiter loyal zu ihr hält; mit ihrer zweiten Liebe sucht Dagmar ihre Tochter Clara heim, die sie wie eine Wölfin zu beschützen sucht und die gleichzeitig mehr und mehr ihre Sicherheit gefährdet. Denn mit sechzehn Jahren durchschaut das Mädchen allmählich, wie ihre unbehauste Existenz „an tausend Orten“, im Verborgenen und voller Heimlichkeiten, jeder „Normalität“ hohnspricht. Vollends gerät das Leben der Frauen aus den Fugen, als ein korrupter „Bulle“ vom Bundeskriminalamt das Trio aufstöbert und zu einer Serie von Überfällen nötigt. Den nun noch dichteren Kontrollen und barscheren Kommandos der Mutter entwischt Clara in einen Club, wo sie sich Hals über Kopf in Aleyna verknallt; die aber, ohne dass Clara es ahnt, ist die Tochter eines gerade eben ausgeraubten Ladenbesitzers.

     Eine „schöne“ Geschichte? Einmal zeigt sie zwei Generation in einer luftklaren, kühlen Außenszene: Deutschland im Herbst. Auf einem Feld lässt sich die Tochter von der Mutter im Umgang mit einer Pistole unterweisen. Um Gegner unschädlich zu machen, rät Dagmar, müsse Clara auf die Beine feuern. Am Ende freilich geht ein Schuss mitten ins Herz. Den Thriller haben die in Berlin lebende, vor dreißig Jahren in Norwegen geborene Regisseurin und ihre Gefährtinnen zwar nicht neu erfunden. Aber ein ausgewachsenes, sehenswertes Genre-Exemplar aus atmosphärisch ungefälligen, farblich betont unpolierten Bildern gelang Marielle Sjømo Samstad durchaus. Das Repertoire konventioneller Handlungselemente eignete sie sich ambitioniert durch eigene eindrückliche Nuancen an, um über Ausweglosigkeit nachzudenken, über unentrinnbare und unmögliche Beziehungen, über Dominanzen, die sich umkehren.

     „In herkömmlichen Actionfilmen“, meinte die Regisseurin in besagtem Interview, „findet man oft starke Frauen, aber selten haben sie einen emotionalen Aspekt, der sie zu glaubwürdigen oder ‚echten‘ Charakteren werden lässt.“ Figuren solcher, der ‚echten‘ Art machen sich in „Generation Tochter“ wirkungsvoll geltend. Linda Sixt, die sich als Dagmar die letzten Lebensenergien aus den ruinierten Lungen hustet, schnürt mit steinhartem Gesicht die halbwüchsige Clara immer enger ein und erlebt, wie die sich gegen die Fesseln sträubt, nicht anders als sie sich selber einst gegen die Restriktionen des „Systems“ wehrte. Umso mehr öffnet die bürgerlich gewordene, reif-resignierte Samira (Jillian Anthony) ihr weites, warmes Herz für Clara. Das Mädchen selbst indes, mit Alida Stricker perfekt besetzt und von ihr großartig aus Fügsamkeit und Renitenz, grimmiger Abenteuerlust und Wirklichkeitssinn gemischt, muss erst noch ganz erwachsen werden, auf zweifelhafte Weise: Halb Kind, halb junge Frau, absolviert sie vor der ersten Zigarette, dem ersten Rausch, dem ersten Sex ihre ersten Schwerverbrechen. Die geradlinige Sinnlichkeit und verständnisinnige Vernunft Aleynas (Bayan Layla) kann Clara einen Weg ins Freie weisen; freilich wird sie ihn allein gehen müssen.

     Übrigens kam ein knappes Jahr vor Christian Petzolds „Innerer Sicherheit“ auch Volker Schlöndorff mit einem Drama um RAF-Aussteiger heraus: „Die Stille nach dem Schuss“. Am Ende von „Generation Tochter“ hört man die auch. Sie ist bedrückend.

■ Weitere Vorstellungen: Samstag, Central 5, 22.45 Uhr, Sonntag, Regina, 20.30 Uhr
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56. Internationale Hofer Filmtage

Wie man seine Ehre verliert
„Sharaf“ (Deutschland, Tunesien u.a. 2021, Regie: Samir Nasr, 94 Minuten)


Von Michael Thumser

28. Oktober – „Sharaf“ ist ein deutscher Film und zugleich ein sehr exotischer. Samir Nasr, sein Regisseur, kam zwar in der Bundesrepublik zur Welt und studierte auch hier, aber in Libyen und Ägypten ist er aufgewachsen. Irgendwo in Nordafrika spielt „Sharaf“, aber man kann der Handlung hierzulande ungehindert folgen, dank der deutschen Untertitel. Die freilich stoßen selten so wie hier an ihre Grenzen: Denn in der Originalfassung wird in sieben unterschiedlichen arabischen Dialekten gesprochen – eine Nuancierung, die dem deutschen native speaker  verborgen bleiben muss und doch ganz zweifellos bedeutsam ist: Denn als „panarabisches Projekt“ hat der Regisseur, wie er in Hof berichtet – die bewegende, so deprimierende wie erhellende Geschichte konzipiert und nach zehn hindernisreichen Jahren 2021 endlich vollenden können.

     In die Fremde führt sie nicht nur ihres fernen Schauplatzes wegen. Überdies ereignet sie sich in der engen Gegenwelt eines elenden Gefängnisses, wo Menschen – in diesem Fall Männer – ihre „Ehre“ bewahren oder verlieren: ihre Anständig- und Rechtschaffenheit, den begründeten Anspruch auf Wertschätzung.

     Sharaf ist ein schmaler Titelheld, der zum Helden nicht taugt. Immerhin aber hat der junge Mann seine „Ehre“ verteidigt: Als ein Ausländer zudringlich werden wollte, tötete er ihn. In Haft wartet er fortan vergeblich auf einen Anwalt und womöglich auf die Todesstrafe. Und er erlebt die gleiche zerbrochene, verzerrte Wirklichkeit, die draußen herrscht: Auch in den verwahrlosten Zellen, zwischen den schäbigen Mauern und Gittern teilt sich die Gesellschaft in Privilegierte und Habenichtse.

     Sogenannte „Königliche“ verfügen über Mittel und Möglichkeiten, Wächter und Kapos zu bestechen und sich von außen erträglich mit allem Notwendigen versorgen zu lassen; hingegen müssen die besitzlosen „Staatlichen“ den Vorzugshäftlingen dienen und den Knastfraß verdauen. Vom Direktor lässt sich Sharaf halb arglos, halb widerstrebend als Spitzel anwerben. Immer genauer, doch stets passiv durchschaut er das Räderwerk der Korruption, der Ungerechtig- und Unvorhersehbarkeiten und gibt Stück um Stück seine Hoffnungen und Herzenswünsche auf. Seine Mannes-„Ehre“ auch: Für einen zwölffachen Serienmörder, der ihn beschützt und ihm Avancen macht, rasiert er sich schließlich die Beine …

     Ein Film wie aus einem Gulag; und trotzdem einer (fast) ohne Schmerzensschreie und Verzweiflungsgesten: Die Dramaturgie einer desperaten Ruhe legte Regisseur Nasr den Episoden zugrunde. Den Stoff verdankt er einem Roman des renommierten ägyptischen Autors Sonallah Ibrahim. Darin spiegeln sich die verlorenen Illusionen der nach dem „arabischen Frühling“ neuerlich um ihre Freiheitssehnsucht betrogenen Menschen in Nordafrika und dem Nahen Osten. In Samir Nasrs reduzierter, gleichwohl bildstarker Verdichtung bleiben die Reflexe empörender Unterdrückung erhalten, zeichenhaft übersetzt aber in die menschliche und zwischenmenschliche Labilität des Protagonisten.

     Ihn stellt Achmed el Munirawi als einen reinen Toren dar, still, zerbrechlich und gehorsam. Doch die Blauäugigkeit des hoffnungsvollen Sohns aus gutem Haus verwandelt sich zum trüben Blick in eine graue, nicht enden wollende Stagnation. Sharaf erlebt, wie der absurde Fluchtversuch eines Wunderheilers und frommen Fantasten scheitert, er hört, wie ein unschuldig verurteilter Intellektueller, brüllend aus der Zelle seiner Einzelhaft heraus, den Mitgefangenen ihr ehrloses Phlegma vorwirft, das alle Schmach erduldet, er ahnt tatenlos, dass ein anderer junger Häftling seine Rolle als Spitzel übernehmen wird. Die Schergen lachen. Der Aufstand bleibt aus.

■ Weitere Vorstellung: Samstag, Central 5, 12.15 Uhr
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56. Internationale Hofer Filmtage
Hass ist das, was zählt
„Das Recht der Stärkeren“ (Deutschland 2022, Buch und Regie: Sebastian Peterson, 98 Minuten)


Von Michael Thumser

27. Oktober – Vor fünf Jahren kam die AfD in den Bundestag. Vor fünf Jahren begann Sebastian Peterson, erschrocken über das fortan auch parlamentarische Erstarken der Neuen Rechten,  mit den Recherchen für „Das Recht der Stärkeren“. Das Ergebnis, das gab er bei der Uraufführung in Hof zu, ist „kein erfreulicher Film“. Was nicht an ihm liegt. Es ist das Thema, was angst und bang macht.

     Mit einer Explosion beginnt und endet die Geschichte: Beide Male geht dieselbe Bombe hoch, dazwischen bewegt sich die Handlung als Erinnerung gleichsam im Kreis. Erzählt wird sie von Jana, die den Sprengsatz, ohne es zu ahnen, im Auto vor ein Kino fährt, wo Medien und Menschentrauben die Galapremiere eines israelischen Films erwarten. Zur Attentäterin wird Jana, ohne es zu wollen, zum Opfer wird sie selbst. Freilich, zu den Tätern zählt sie auch. Gerade volljährig geworden, lässt sie sich von einem Tag in den nächsten treiben, ohne Plan und Ziel, aufgerieben von ihrem Zorn auf alles und alle: auf den alleinerziehenden Vater, den ihre Wut überfordert; auf die Leiterinnen und Leiter der Behindertenwerkstatt, wo sie die Zeit totschlägt, indem sie in sozialen Netzwerken unter falschem Namen fremde Posts manipuliert; die ganze lächerliche Menschheit straft sie mit Verachtung. Jana schreit, stänkert, schlägert: eine Soziopathin? Sie sagt: „Ich bin einfach so.“

     Fern jeder politischen Überzeugung trudelt sie, über den Zufallsumweg eines „Heimatabends“ mit ausländerfeindlichem Wirtshaus-Agitator, im Bierkeller eines neonazistischen „Freundeskreises“ ein. Bei den alkoholseligen Dumpfbacken und deren charismatischer Einpeitscherin hofft Jana Gefährten ihresgleichen zu finden. Als Gastredner schwört ein greiser Hitler-Schwärmer die triste, aber Terror-affine Truppe auf das „Recht der Stärkeren“ ein. Auch Jana findet, nur noch der „Hass auf diese Welt“ sei „das, was zählt“. Freilich braucht, wer solche Freunde hat, bald keine Feinde mehr.

Jana geht in die Luft, in jeder übertragenen Bedeutung und ganz konkret gleich zu Beginn. Am Ende wieder. Die lange Rückblende dazwischen fügt sich samt und sonders aus den Handy-Filmen ihres Videoblogs zusammen. In einem sagt sie einer Psychologin, es mache ihr „Spaß, im Netz eine andere zu sein“. Aber wer ist sie selbst? Und wo steht sie in ihrer schwarz-weißen, vor allem schwarzen Welt, wenn zwischen ganz gut und ganz böse alle Zwischenstufen zu fehlen scheinen? Jana, ein Schrei- und Quälgeist, der vor Einsamkeit schreien könnte und sich aus Orientierungslosigkeit zu Tode quält, ist in ihren ungebrochen subjektiven Posts alles zugleich: einziges Thema und Hauptdarstellerin, Regisseurin und Kommentatorin der Blase, die sie für die Welt hält und die sich von Clip zu Clip immer unentrinnbarer um sie zusammenzieht.

     Mit dem Handy – zumeist am Stick befestigt – hat der Autor und Regisseur, der zugleich als Kameramann fungierte, Janas Geschichte gedreht: als die – auch visuell – stürzenden und sich überstürzenden, das Leben von den Füßen auf den Kopf stellenden Bekenntnisse einer Irritierten und Verwirrten, Verirrten und Irrenden. So konnte Peterson, zum einen, das durch crowdfunding finanzierte Budget extrem niedrig halten. Zum andern (und vor allem) erreichten er und seine famose Protagonistin Irina Usova auf diese Weise eine pausenlose, immer beklemmendere Unmittelbarkeit von selten so erreichter Hautnähe. Sie macht die nicht immer „erfreulichen“ Schauspielleistungen und die Naivität so mancher Episode nicht unsichtbar, jedoch zur Nebensache.

     Alles andere als das sind die eingefügten Originalaufnahmen von AfD-Demos, Gauland-Propaganda und schwarz-weiß-roten Aufmärschen autonomer Nationalisten. „Im Netz, bei Google und Youtube, stößt man schnell auf Extremes“, erzählt Peterson in Hof über seine Recherchen, „und wird dann immer zum Nächstschlimmeren weitergeleitet.“ Schon vor bald 150 Jahren hat die österreichische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach das angemaßte „Recht des Stärkeren“ als „das größte Unrecht“ angeprangert. Dass es beides ist – Grenzüberschreitung und Verbrechen –, führt Wladimir Putin zurzeit in der Ukraine vor.

■ Weitere Vorstellung: Samstag, Central 4, 12.30 Uhr
■ Das Festival im Internet: hier lang.


56. Internationale Hofer Filmtage
Die Wahrheit ist flexibel

Zur Eröffnung: „Olaf Jagger“ (Deutschland 2022, Buch und Regie: Heike Fink, 95 Minuten)


Von Michael Thumser

26. Oktober – Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen. Aber versuchen darf mans mal. Denn womöglich passt einem ja der Name nicht, den „Mutti“ und „Vati“ einem mitgegeben haben. Schubert, zum Beispiel, kann hierzulande jeder und Olaf will vielleicht nicht jeder heißen. Olaf Schubert nennt sich bekanntlich einer der erfolgreichsten Comedians im Lande, der in Wahrheit seit seiner Geburt 1967 in Plauen, Hofs einst deutsch-demokratischer Partner- und Nachbarstadt, Michael Haubold heißt und seinen an sich unspektakulären Künstlernamen zur anerkannten Marke entwickelte. Mit seinem Markenzeichen, der verhaspelten Vollmundigkeit des großspurigen Allesdurchschauers und Welterklärers, behauptet er von sich, nach dem Papst der „zweitwichtigste Bewahrer der Wahrheit“ zu sein. Seine Regisseurin Heike Fink wiederum hat am Dienstag, zum Start der 56. Hofer Filmtage, in einem Rundfunkinterview eingeräumt, sie gehe „elastisch mit der Wahrheit um“.

Olaf Schubert, davon handelt beider Film „Olaf Jagger“, mag nicht länger Olaf Schubert heißen. Denn seit er beim Stöbern in „Vatis“ vermülltem Keller auf alte Tonbänder stieß, nährt er in sich einen fantastischen Verdacht: „Mutti“, vor der Wende Moderatorin des DDR-Jugendradios DT 64, hat 1965 bei einem offiziell erlaubten Westbesuch in Münster das erste Deutschland-Konzert der Rolling Stones besucht, ist dabei deren Frontmann Mick Jagger auch inoffiziell nähergekommen und war einen one-night stand lang mit ihm innigst vereint. Olaf, das leuchtet Schubert spätestens bei der Lektüre von „Muttis“ Stasi-Akte blitzartig ein, muss dann wohl der Sohn des Weltstars sein. Vom Ruhm, denkt er sich, fällt auch für ihn was ab, zudem gilt es, „finanzielle Interessen“ durchzusetzen. Da heißt es: „Keine Zeit verlieren!“

Voll der Rocker

Ein Fake, versteht sich, ist das alles und der Film eine mockumentary. Als mock, unecht, gibt sich die Handlung von Anfang an fröhlich zu erkennen; als documentary, Dokumentarfilm, kommt sie gleichwohl gekonnt daher. Kein Wunder, sammelt doch Heike Fink seit 2003 als Autorin und Regisseurin Erfahrungen in dem zunehmend populären Genre und versteht ihr Handwerk. Hajo Schomerus desgleichen: Der erzählt bei der Hofer Festival-Eröffnung (zu der per Video auch der Comedian zugeschaltet ist) gleichsam noch immer atemlos, er habe mit seiner Kamera dem hibbeligen Humoristen „immer hinterherrennen“ müssen. Der fortwährenden Verfolgungsjagd zwischen Ost-Berlin und Westfalen, den USA und Frankreich verdanken die Bilder ihre scheinauthentisch schicke Wackelei.

Sie zeigen unter anderem auch, wie Olaf Schubert selbst Musik macht: Am Schlagzeug reagiert er seine Ungeduld als fiebriger Familienforscher ab. „Ich war voll der Rocker“, sagt er, „eine Rampensau“ – klar, dass das nicht an „Vatis“, sondern Mick Jaggers Genen liegt. In den gutgelaunten Nonsens sind reichlich Auskünfte von Zeitzeugen und Zeitgenossen eingefügt: Einstige Kämpen der Ostrockszene und Museumsleiter, eine WDR-Redakteurin und eine Familienanwältin, zwei coole Freundinnen, die vor bald sechzig Jahren Groupies waren, sogar ein Sexualtherapeuth – sie alle geben wahrheitsgemäß Erinnerungen und Informationen preis, um irgendwann unmerklich einzuschwenken in die immer absurder erfundene Fiktion. Improvisatorisches Geschick zeigen sie dabei und obendrein Freude an der Spielerei.

Viel mehr als das ist „Olaf Jagger“ nicht, und auch nicht so „flexibel“ wie die Wahrheit. Allmählich erstarrt die hübsche Idee, ausgebreitet in Episoden und Stationen ohne rechte Spannungskurve, und zieht sich gegen Ende in die Länge. Ein satirisches, mithin ein etwas belangvolleres Spiel auf dem drahtseildünnen Grat zwischen Tatsache und Täuschung, Räuberpistole und Realität mag die Regisseurin dem Publikum des ZDF (das den Film koproduzierte) und des Kinos (wo er im 6. April anlaufen soll) nicht zumuten; verwunderlich in einer Epoche von fake news, globalen Verschwörungs-Schwurbeleien und digitalem Lug und Trug. Ein paar komödiantische Andeutungen in dieser Rinchtung hätten dem vergnüglichen, aber rhythmusfreien Spaß gutgetan. Wer freilich den Abspann abwartet, dem wird dann doch noch eine Pointe zuteil, die für Olaf Jagger womöglich alles gut macht und ihm die Einreichung einer Vaterschaftsklage erspart.

■ Weitere Vorstellung: Donnerstag, Scala 3, 22.15 Uhr; Samstag, Scala 3, 17.45 Uhr
■ Das Festival im Internet: hier lang.



Vor Wunderknaben wird gewarnt

  • Im Kino: „Tausend Zeilen“ (Deutschland 2022, Regie: Michael Herbig, 93 Minuten)


Von Michael Thumser

4. Oktober – Die „Hitler-Tagebücher“ waren vorgestern. Gestern war der Fälschungsskandal, den der um die Welt rasende Reporter Claas Relotius auslöste und der also auch schon wieder sechs lange Jahre zurückliegt. Zur Erinnerung: Ende 2018 flog der gebürtige Hamburger, Jahrgang 1985 und seit seinem 27. Lebensjahr Empfänger von – am Ende neunzehn – bedeutenden nationalen und internationalen Branchenpreisen, als das Schlimmste auf, was jemand in seinem Beruf sein kann: als Lügner. In etlichen Zeitungen und Zeitschriften – von der Financial Times Deutschland bis zur Zeit – und hauptsächlich im Spiegel hatte er Reportagen, Interviews, Porträts veröffentlicht, die hinten oder vorn nicht stimmten oder der Wahrheit überhaupt in nichts entsprachen. 

     Als Wunderknabe hatte er sich feiern lassen und war von seinen Führungsredakteuren nur allzu gern und werbewirksam als solcher gefeiert worden: als junge, ja sympathisch jungenhafte Lichtgestalt am zwielichtigen Himmel eines brisant aktuellen, global investigativen, theatralisch aufdeckenden Journalismus von der vordersten Front. Dann stellte sich plötzlich, wenngleich nicht völlig überraschend heraus: Der Finder der heißesten Storys ever war oft genug ihr Erfinder gewesen; in anderen Fällen hatte er selbstherrlich, -sicher und -verliebt hinzufabuliert, was an knalligen-knackigen Details gerade fehlte; oder weggelassen, was seinen Absichten zuwiderlief.

     Zur Erinnerung an diese jüngste erdbebende Spiegel-Affäre hat Michael „Bully“ Herbig sie wendig und teils virtuos ins Unterhaltungsfilmformat gegossen. Oder eigentlich nicht die Fakten um den Faktenfälscher selbst, sondern das 2019 erschienene Buch „Tausend Zeilen Lüge“ von Juan Moreno, dem immer skeptischeren Kollegen des immer erfolgverwöhnteren Fantasten. Moreno hat Relotius seine Schandtaten schließlich nachgewiesen; allerdings tat ers wohl so, dass er sich seither selbst ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt sieht wie der Betrüger. Auch wars Herbig bei seiner einigermaßen freien Leinwandadaption nicht (nur) um Erinnerung zu tun; er ging ans Werk, weil ihm, dem Komiker und Komödienspezialisten („Der Schuh des Manitu“, „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“), die vielen Implikationen des Närrischen, Zynischen, lachhaft Hochnotpeinlichen in dem Stoff nicht entgingen. Der barg eine Sprengkraft, kaum geringer als jene in des „Führers“ angeblichen, 1983 aufgetauchten Privatnotizen, aus denen Helmut Dietl den Kinoplot für sein satirisches Meisterwerk „Schtonk!“ destillierte – unverwüstlich, unvergesslich.

Schwindelerregende Schwindeleien

So wie Relotius die Wirklichkeit manipulierte und korrigierte, so etwa tun es Michael Herbig und sein Drehbuchautor Hermann Florin in „Tausend Zeilen“ auch: freilich nicht um zu lügen, sondern um eine mitreißende, so lustige wie die lustvolle Empörung schürende Fiktion über einen Meister der Fiktionen zu erfinden. Bei ihnen heißt der schwindelerregend schwindelnde Lügenbeutel Bogenius, aus Moreno wurde Romero. Letzterer darf bei Elyas M’Barek dauerhektisch im ungepflegten Proletarierlook als fortwährend zurückgesetzter, böswillig missverstandener Retter des Realitätsbezugs am Ende Recht und den Kopf oben behalten, den ihn seine Vorwürfe gegen das Hätschelkind der Chronik- (alias Spiegel-)Redaktion fast gekostet hätten. Zu Hause wird er von Frau (hübsch) und Töchtern (süß) innig geliebt und liebt innig zurück, nur ist er kaum zu Hause und gedanklich noch seltener bei den Seinen; was in eine kurze, indes leicht entschärfte Familienkrise führt. 

Weit größer die existenzielle Gefahr, die ihm in der Chronik-Zwingburg droht. „Europas größtes Nachrichtenmagazin“: ein Haifischbecken. Anfeuernd aufs Wasser schlagen dort schmierige, narzisstische, opportunistische Ressort- und Redaktionsleiter (Michael Maertens, Jörg Hartmann). Wie auf einen kakerlakigen Störenfried schauen sie auf Romero herunter, von dem sie sich, halb unbelehrbar, halb aus Bequemlichkeit, den Glauben an ihren spießerhaft blässlichen, aber adretten, vor allem auflagesteigernden Star (Jonas Nay) nicht nehmen lassen wollen. So erinnern sie an die vergleichbar betriebsblinden, 1992 in Dietls „Schtonk!“ von den Herren Benrath und Lause, Mühe und Juhnke mit noch mehr sarkastischer Ironie verkörperten Führungskräfte der „HHpress“, soll heißen: des Sterns.

Alles, was der Chef verlangt

Immer auf der Jagd nach dem nächsten Scoop und endlich erwischt und überführt, macht Begonius geltend, nur getan zu haben, was seitens der Chefetage von ihm „verlangt“ war: „langweilige Fakten in eine spannende Dramaturgie“ zu bringen. Darin ist ihm Regisseur Herbig, mit nicht eben langweiligen Tatsachen, gelehrig gefolgt. Filmisch originell, durch Dichte und Tempo fesselnd, erfinderisch in der Handlungsführung (nur nicht am Schluss) und von Torsten Breuers Kamera vielfältig, auch überraschend illuminiert, weisen die „Tausend Zeilen“ dreierlei nach. Zum einen: Vor Wunderknaben sei gewarnt, in jedem Fall. Zum andern: „Geschichten zu erfinden, ist“, wie Romero alias M’Barek zugibt, „was Wunderbares; es hat nur nichts im Journalismus zu suchen.“ 

Und schließlich: Claas Relotius, der Medien-Scharlatan und abenteuernde Münchhausen einer hier mehr, da weniger seriösen Presse – er ist ersichtlich mit Fantasie gesegnet, einer blühend immergrünen, schrankenlosen, und erzählen kann er, bestechend gut. Welche Gaben für einen Autor! Es hätte was werden können aus ihm: alles Mögliche; allemal mehr als ein schaumschlagender Schreiberling; sogar ein großer Journalist.